Die Last einer Nachhaltigkeitskommunikation – Rekurs der Internationalen Sommeruniversität Transmediales Storytelling

Joachim Borner

1. Steckbrief

Die Internationale Sommeruniversität „Transmediales Storytelling – Klimakultur“ (www.ccclab.org) ist ein Blended-Learning Format, welches zunehmend den transdisziplinären forschungsmethodischen Ansatz von Reallaboren annimmt und Kommunikation als Bestandteil transformativen Lernens auffasst. Sie verändert sich ständig, befindet sich in einem Alphabetisierungsprozess, der von nicht wenigen Irritationen gekennzeichnet ist. An diesen waren und sind eine Vielzahl von Einrichtungen und Erfahrungsträgern beteiligt, die an den verschiedenen Standorten (Rio de Janeiro, Santiago de Chile, Berlin/Karnitz) in unterschiedlichen kulturellen Kontexten agieren.

Über die Zeit, in den unterschiedlichen Etappen, tangierte die Internationale Sommeruniversität mit dem, was sie unter wirksamer, also veränderungsfähiger Kommunikation verstehen wollte, verschiedene gesellschaftliche „Ressorts“: künstlerische Deutungen der Transformationen, Wandlung journalistischen und wissenschaftlichen Rollenverständnisses in universalen Herausforderungen wie den Klimawandelfolgen, Kommunikation als Lernmedium und das Tun und Machen als Vorläufer des Denkens. Einige der aufbrechenden Fragen sind in der folgenden Chronologie diskutiert. Dabei werden wesentliche interne Diskursfelder, die aus unserer Sicht für die Diskussion von Nachhaltigkeitskommunikationen relevant sind, unvermittelt angesprochen.

2. Gegenstand

In Birgit Schneiders Studie „Klimabilder. Eine Genealogie globaler Bildpolitiken von Klima und Klimawandel“ (Schneider 2018) von 2018 wird die Sommeruniversität als ein Vorhaben beschrieben, das sich der Kommunikation des Klimawandels aus den Wissenschaften heraus und in die Alltagsroutinen hinein widmet. Es „ist der Bereich von Kultur und Gesellschaft, in welchem andere Imaginationen gesucht werden müssen, die diese Erkenntnisse (der Klimawissenschaften – JB) einbeziehen.“ Neue Metaphern, Symbole und Bilder für Narrationen über Klimakulturen, die öffentlich immer wieder reproduziert werden müssen, werden entwickelt und „mit verschiedenen Medienformaten wie AV-Spots, Podcasts, Animationen, Infografiken, Fotodokumentationen, Blogs, Social Media Posts sowie Events“ (Schneider 2018: 383) verbunden.

Da ist die Sommeruniversität schon mehr als 15 Jahre unterwegs und versteht sich immer stärker als ein transdisziplinäres Forschungsprojekt in der „großen Transformation“.

In den Umbrüchen und Transformationen, die die Kommunikationsanstrengungen während dieses Zeitraums rund um den angemahnten (Kultur)wandel, der nachhaltige Entwicklung genannt wird, durchlebten, erfuhren die Protagonisten dieses Vorhabens was es heißt, einen Wandel erst wirklich lesen zu lernen, wenn er stattfindet. Dabei die „Entdeckung“ zu machen, dass sich dieser Umbruch, auch in Folge wenig handlungsrelevanter Wirkung der bisherigen Kommunikation selbst, als Metamorphose entpuppt, war aus heutiger Sicht naheliegend, im Lernprozess stellt er eine der größten Irritationen dar.

Denn in diesem Zeitlauf veränderte sich das Verständnis über Möglichkeiten nachhaltiger Entwicklung. Während in den ersten Jahren ganz selbstverständlich davon ausgegangen wurde, dass proaktives Handeln und Gestalten des Wandels das Grundmuster nachhaltiger Entwicklung sei, und zwar deshalb, weil es einfach klug, variantenreich und weniger konfliktgeladen stattfinden kann, änderte sich dieses Bild dahingehend, dass zunehmend auf Herausforderungen und Zwänge reagiert und in den Modus von Krisenmanagement eingetreten wird: die Metamorphosen beginnen stattzufinden, der reale Wandel wird zur Krise, nein zur Erosion der herkömmlichen, also kapitalistischen Rollen, Funktionen und Spielregeln in den ökologischen, sozialen und ökonomischen Systemen.

3. Erste Etappe – Lernen

Die konzeptionellen Arbeiten begannen 2003 in Santiago de Chile mit der Vermutung, dass nachhaltige Entwicklung Aufklärung bedarf, verstanden als den Bedarf an mehr Wissen über selektierte Phänomene von sich andeutenden globalen Umweltstörungen. Verstanden wurde Kommunikation einmal als Faktenvermittlung, als Übersetzungsversuch wissenschaftlicher Erkenntnisse in Beispiele alltäglicher Routinen oder als Metaphern für veränderte Konsum- und Lebensweisen. Zum anderen wurde immer deutlicher, dass in Transformationsprozessen Lernen vor allem realweltlich abläuft und dieses informelle, selbstorganisierte transformative Lernen über kommunikative Suche und Deutung erfolgt. Welche Rolle mediale Formate der Kommunikation (der Information, Kontroverse, Reflektion) innerhalb transformativer Selbstermächtigung spielen, in welcher Weise sie in informellen Lernarrangements gestaltet und eingesetzt werden können, wie Kommunikation selbst als Lern-Medium zu verstehen ist, ist seitdem eine wesentliche Forschungsfrage.

Eine zweite Frage wurde zunehmend virulent. Wir wissen leider noch viel zu wenig über die Voraussetzungen, Potenziale und Hindernisse des nötigen gesellschaftlichen Wandels. Denn die bisherige Forschung ist sehr akteurszentriert, sie sieht wenig die kollektiven Lernprozesse, die sich hinter dem Rücken des bewussten Handelns von Akteuren durchsetzen. Für die Kommunikation sind gerade diese aber bedeutsam. Um es noch deutlicher zu sagen: Die kommunikative Orientierung auf den Einzelnen, auf dessen Verhalten und Handlungen ist dann kontraproduktiv, wenn sie die Strukturen und Machtverhältnisse, innerhalb derer sich die Möglichkeitsräume individuellen Verhaltens befinden, nicht thematisiert und deren Veränderungsnotwendigkeiten sowie deren Verantwortungsträger nicht ebenso in den Vordergrund stellt.

Erst das ist tragfähig genug, um die Schwierigkeit in Veränderungen zu überwinden, die wie J.M. Keynes meint vor allem darin besteht, den alten Ideen zu entkommen. Als Einzelner das zu schaffen bedeutet nicht zwangsläufig, dass es auch gesellschaftliche Gruppen können. Aber um diese und deren kommunikative Lernkulturen sowie um substantielle Verschiebungen in Machtstrukturen in den realweltlichen Abläufen geht es in Transformationen.

Darin eingebettet wird der Umgang mit Zielkonflikten, knappen Zeitfenstern und Wandlungstiefen unbedingter Kommunikationsgegenstand, denn sie alle können zu individuellen und sozialen Unsicherheiten führen, wenn Umbrüche, die an sich schon Verunsicherungen auslösen, als individueller oder gesellschaftlicher Kontrollverlust wahrgenommen und kommuniziert werden. Folgen können – wie wir das zunehmend erfahren – verweigerte Akzeptanz und verweigerte Teilhabe der Bürger*innen, selbst von Entscheidungsträgern sein, die Innovationspfade der „großen Transformation“ stören oder soziale Kipppunkte auslösen.

Nun zielen Transformationen kultureller Art (wie eben die „große Transformation“) ja auf die Veränderung sozialer Praktiken und Routinen wodurch Zielkonflikte und Nebenfolgen in einer Kommunikationskultur, die vom Erhalt des Gegenwärtigen geprägt ist, Verunsicherungen verstärken. Dadurch und auch noch durch die kommunikative Reduktion auf Details von Maßnahmen wird die Debatte über die lange, orientierende Linie nachhaltiger Entwicklung, also der strategischen Orientierung abgeräumt.

Schließlich kam, vor allem von den brasilianischen Partnern (Benki Piyako) die Frage in den Raum, ob Kommunikation nachhaltiger Entwicklung nicht Themen einschließen müsse, die metaphorisch im Sinn des us-amerikanischen Kampf um Gleichberechtigung aller, mit dem „safe negro travel guide“ oder „The Talk“ angedeutet werden: wenn es immer düsterer wird und immer unwahrscheinlicher in all den Anstrengungen auf dem Weg zur nachhaltigen Kultur.

4. Zweite Etappe – Zukunftsbild Alternative

Am Anfang war die Erkenntnis, dass es um Lernen durch mediale Kommunikation geht. Das Medium sind die Geschichten des Alltags und des Lebens, das Lernen ist Erzählen und verstehendes Hören und wieder Erzählen. Seit den 1980er-Jahren hat sich in der Kognitionspsychologie und den Erziehungswissenschaften die Erkenntnis durchgesetzt, dass Lernprozesse durch den Einsatz erzählerischer Methoden wirkungsvoll getragen werden können. Gerade im Zusammenhang mit den großen gesellschaftlichen Herausforderungen, in denen, früher festgefügte Kontexte der Moderne und deren Orientierungskraft verloren gehen, werden narrative Kompetenzen zu einer zentralen Grundausstattung in Lernprozessen nachhaltiger Entwicklung. Diese sind dann nötig, wenn man improvisieren muss und Entwicklung nicht mehr »vom Blatt gespielt« werden kann, oder anders gesagt, wo es nicht mehr um die Verlängerung der Gegenwart geht. Aber was ist die Referenz für heutiges Handeln? Offensichtlich bleiben uns zu deren Benennung nur szenarische Ableitungen möglicher Zukünfte. Da aber tut sich eine überraschende Selbstbegrenzung auf.

In den zwangsläufig, mit Capitalozän bzw. Anthropozän aufschlagenden Hinterfragungen nachhaltiger Entwicklung scheint eine existentielle Frage, gebunden an den Begriff der Alternative durch: Unausgesprochen ist das Konzept ausschließlich innerhalb der gesellschaftlichen Spielregeln des Kapitalismus angelegt und festgezurrt. Damit werden Alternativen entweder auf technisch, ökonomisch verwertbare Alternativen oder auf individuelle Verzichtsparameter verkleinert. Eigentumsrechte, Verfügungsgewalt, sozioökologische Ungleichheit – also die Aspekte der Spielregeln bleiben in alternativen Überlegungen und Pfadentwürfen außen vor und damit auch das, was Norbert Elias mit Wirkungstiefe von Transformationen, bezogen auf das Problemniveau und damit den der Kommunikation zu liefernden Stoff meint. Ob das nur daran liegt, dass wir seit 30, 40 Jahren philosophisch in extrem schwachen Zeiten leben, ist in diesem Zusammenhang nur ein Bonmot.

Diese Engführung von Zukunftsbildern hat in der Praxis einen interessanten Effekt: Denn die alternativen Ökonomien (Solawi), alternativen Schulen etc. entwerfen keine Zukunftsvisionen, sondern einen stattfindenden Wettbewerb, in dem es darum geht, nicht mainstream zu sein. Im Existenzkampf der Nischen entstehen ähnliche Stereotype wie die, von denen sich abzusondern versucht wird, die sich aber einwandfrei in Kategorien des Marketings übersetzen lassen.

Möglicherweise ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt, der sich wie ein Epochenwechsel anfühlt aber politisch noch nicht beschreibbar ist, nichts Besseres zu tun als „den Sektor des Zerstörungswürdigen abzuleuchten“, eine Meinung, die Walter Benjamin vertrat und der sich beispielsweise die Kuratorin der diesjährigen Bienale Lisette Lagnado anschließt: „Wenn wir über das Leben auf unserem Planeten sprechen, über Nachhaltigkeit, dann sind vielleicht weder Rationalismus noch Spiritualität die großen Ungeheuer, sondern der Kapitalismus.“ (Lagnado 2020: 26)

5. Dritte Etappe – Das Ästhetische

Auch wenn es innerhalb des Kommunikationsverständnisses eine Binsenwahrheit ist, dass sich Inhalt und Form bedingen, bricht im Epochenwechsel in neuer Qualität das auf, was Marshall McLuhan mit dem „Das Medium – und die Form und der Weg der Symbolisierung – ist die Botschaft“ (McLuhan 2011) anstieß: Die konstitutionelle Berücksichtigung der kulturellen Dimension. Denn es geht um die ästhetische Verfasstheit der zum Ausdruck kommenden Einstellungen, die sich hinsichtlich der Klimafolgen beispielsweise, auf das Verhalten und Handeln auswirken. Wie grundsätzlich das sein kann und wie machtvoll sich z.B. bildhafte Vorstellungen in „unsere“ Vorstellungswelt einschreiben zeigt der Hinweis auf den Entwicklungsstammbaum den Haeckel malte, der in allen nur denkbaren Lehrmaterialien (auch in Kirchenfenstern) zu finden ist und das zwangsläufig Finale des Menschen in der natürlichen Entwicklungsgeschichte (Evolution) vermerkt. Diese Interpretation der darwinschen Evolutionstheorie war ein Fake, denn Darwin hatte im Gegensatz zu Haeckels linearem Aufwärts ein nicht zielorientiertes Überallhin – wie eine Koralle – dargestellt und bewiesen. Hier ist nicht Platz für eine Diskussion des Warums dieser bildlichen Falschdarstellung der Evolution durch Haeckel. Hier ist es nur das Beispiel für die bildhafte Fixierung einer Weltsicht im gesellschaftlichen und historischen Gedächtnis und, und hier wird es interessant: eine Funktionsbestimmung für Kommunikation, nämlich die Dekonstruktion und permanente Kritik solcher mächtiger Bilder, die sich tief ins kollektive Bildgedächtnis eingegraben haben. Möglicherweise rückt Kommunikation damit in die Nähe politischer Bildung. Das aber wäre eine neue Frage.

Es gibt von Caspar David Friedrich das Bild „Das große Gehege bei Dresden“. In revolutionärer Weise konzipiert er das Mensch-Natur-Verhältnis neu. Dieses Bild gehört bislang kaum zum kollektiven Bildgedächtnis. Bruno Latour hat dieses Bild für den Umschlag seines Buches „Kampf um Gaia“ gewählt. Schaut mensch auf diese Elbe-Landschaft, dann verheißt der Standpunkt beim Betrachten keine Stabilität, es ist merkwürdig ortlos, ohne Weg hinein, ohne Orientierung. Für Latour ist diese Bildkonzeption deshalb interessant, weil es die für seine Konzeption wichtige „Instabilität jedes Blickpunkts auf die Welt … bezeichnet.“ (Latour 2017: 376) In diesem Bild löst sich also die uns vertraute und Stabilität verheißende Entgegensetzung Betrachter – Landschaft, Mensch – Natur, Subjekt – Objekt auf. Das ist vollkommen gegensätzlich zur „cartesianischen Wende“ im Hinblick auf die Subjekt-Objekt-Trennung. Diese hat eine Naturbeherrschung, basierend auf künstlicher Trennung und polarisierender, binärer Gegenüberstellung von Mensch und Natur im Blick, Friedrichs Bild steht als Modell für die ortlose, dynamische Einbettung des Menschen in die Natur. Daraus lässt sich fragen, ob Kommunikation nicht auch Suchbewegung nach Bildern sein muss, die den neuen Weltsichten, die beispielsweise Folge der „great acceleration“ sind, Macht zuwachsen lassen kann? Und schließt sich da, weil die Suchbewegung ja massiv mit der realweltlichen Erfahrung korrespondiert, nicht die Frage an, wie Kommunikation zur Interpretation, Dekonstruktion und Rekonstruktion all der Ansätze nachhaltiger Entwicklung beizutragen hat? Wie der Kanon strukturiert werden kann, um nicht in einer Flut möglicher Bilder, also möglicher (interessengeleiteter) Optionen unterzugehen? Hilfsmittel könnte dabei die Systematisierung von Narrativen des Capitalozäns sein. Dürbeck geht von der These aus, „dass das Konzept des Anthropozäns eine inhärente narrative Struktur hat, sodass es durch das Medium der Erzählung neue Deutungen der conditio humana in unserer Zeit aufzeigt.“ (Dürbeck 2018: 3)

Implizit deutete sich im Lernprozess der Internationalen Sommeruniversität schon längst an, dass es in der Kommunikation nicht einfach nur um Erzählungen über mögliche Zukünfte geht.

Wenn wir uns nämlich Geschichten erzählen schwingt im Hintergrund das mit, was unsere Sicht auf die Welt und den Mitmenschen ausmacht. Mehr noch, dieses individuell-spezifische Erklärungsmuster über die Organisation und Funktionsweise der Welt, dessen Schlüssigkeit wir uns immer wieder über erzählende Gespräche versichern, dominiert unser Erzählen, die Wahl der Fakten und Metaphern, der Helden und Antihelden, der Beschreibung der Konflikte.

Auf individueller Ebene ist es das emotionale, erfahrungsbezogene Muster unserer eigenen Welterklärung und wie diese Welt aus unserer Handlungslogik heraus funktioniert. Entsprechend diesem Muster handeln wir. Gesellschaftlich wird das relevant, wenn viele sich für ein ähnliches Narrativ entscheiden, wenn sich nicht nur eine individuelle sondern eine soziale, gesellschaftliche Orientierung durch ein gemeinsames Narrativ ergibt und daraus kollektives Handeln erwächst. In diesem Sinne sind Narrative etablierte „Große Erzählungen“ über die gesellschaftliche Ordnung, die schlüssig, orientierend, sinnstiftend und mit einer „Legitimität“ versehen sind. Der Wechsel von alten zu neuen Narrativen, die idealerweise eine dichtere Orientierung an der Wirklichkeit haben, ist natürlich ein Prozess, der über Unordnung verläuft.

Geschichten zu nachhaltiger Entwicklung haben dann ihre entscheidende Wirkung, wenn sie zum Narrativ kohärent sind und dessen schlüssige Orientierung, die auch die Risiken einer großen Transformation erfasst, vermittelt. Kommunikation wird sich somit wohl mehr und mehr dem Phänomen der Narrative als Hintergrund von erzählender Kommunikation widmen müssen – mit einer Reihe von Problemen:

Das Problem, dem die Narrative nachhaltiger Entwicklung ausgesetzt sind, ist, dass sie in Konkurrenz zu einer Metaerzählung der „fossilen Moderne“ und deren Narrative stehen und damit in ihrer Verbreitung an deren kulturell-mentale Gegenbilder, Objekte und sozialen Rituale stoßen.

Zum Zweiten sind die Ansätze von Nachhaltigkeitsnarrativen, wie wir sie bislang finden, vor allem deshalb noch zu wenig veränderungsauslösend und wirkmächtig, weil sie weder den Möglichkeitsraum der Großen Transformation lebensweltlich thematisieren noch Ansätze für ein »Transformationsdesign« nachhaltiger Entwicklung liefern. Es sind „nur“ große normative Erzählungen der Begrenzungen, denen die entscheidenden Bestandteile fehlen: nämlich das Organisationsmuster und die Funktionsweise, aus der sich Geschichten des Alltags einer nachhaltigen Gesellschaft erzählen.

Zudem bestehen sehr unterschiedliche Vorstellungen über die Wandlungstiefe. Denn die umlaufenden Narrative bewegen sich zwischen produktbezogenen Veränderungen, einer green economy, dem Degrowth und dem Interdependenznarrativ. Das ist wenig verwunderlich, denn wir sind mitten in der Suche nach der Kohärenz zwischen der zukünftigen Wirklichkeit und der Skizzierung eines Überlebenssystem, für die es – im Raumschiff Erde – kein Steuerungshandbuch gibt.

Die „große Erzählung“ zur Nachhaltigkeit, die es erst noch zu schreiben gilt, kommt in ihrer Radikalität wohl mindestens an die Erzählung des Auszugs der Israeliten aus Ägypten heran (Assmann); eine der grandiosesten und folgenreichsten Geschichten, die sich Menschen erzählt haben: Revolutionär war der Exodus, weil die Juden nicht länger an die „Natürlichkeit“ von Sklaverei und Unterdrückung glauben wollten. Gott habe alle Menschen gleich geschaffen und darum müssten alle, die in Knechtschaft leben, befreit werden! Das Volk (!) geht den göttlichen Bund ein (und der Gott ist dabei!). Während die Götter archaischer Religionen mit den Königen im Bunde waren, schlug sich der Gott der Juden in skandalöser Weise auf die Seite der Unterdrückten und bricht mit dem Volk und mit dem Anspruch auf Gleichheit und Gerechtigkeit in die Herrschaftspraktiken der alten Reiche ein.

Als in der Sommeruniversität so über die Schwierigkeiten eines Narrativs beraten wurde kamen mit den vier Hauptnarrative zum Anthropozän, die Gabriele Dürbeck zusammenstellte, wieder diese zwei gegensätzlichen Bilder oder Weltsichten zutage. Die eine Art der Narrative, die technische und die große ethische Transformation stellt die binäre Polarität von Mensch und Natur Auf-Dauer. Die andere Art, die der Apokalypse und der Interdependenz, unterbricht durch Handlungsverweigerung diese Polarität. Melancholie erscheint als alleinige, angemessene Reaktion auf die Umbrüche (Katastrophen). In den Protesten z.B. der Klimaaktivisten „liegt ein vorpolitisches Element: der Wunsch, die Welt anzuhalten, anstatt darüber zu diskutieren, ob wir im fünften, im vierten oder vielleicht, wenn wir den Gürtel besonders eng schnallen, nur im dritten Gang weiter auf den Abgrund zurasen werden.“ (Bovermann 2019: 15) Denn die hochaktuelle Botschaft ist: „Das Ende vollzieht sich genau jetzt. Das, was ihr fürchtet, ist längst der Fall, es ist nur noch nicht sichtbar. Um sich politisch zu entzünden, darf die Melancholie nicht in der Betrachtung des kommenden Verlusts verharren, sonst ist sie nur ein als Schöngeist getarnter Zynismus. Sie muss das alte Denken zum Einsturz bringen und Platz schaffen: für die Utopie. Die Zeiger stehen auf zwölf Uhr. Endlich! Ein neuer Tag beginnt.“ Der Schulstreik der Fridays for Future als Nichtstun ist so eine paradoxe Intervention, eine Störung.

Mag man Schlüsse für die Kommunikationssuche in der Sommeruniversität ziehen, dann vielleicht diese: Der Umgang mit den mächtigen Narrativen der alten Welt (die sich in Metaphern und Bildern verstecken) ist mehr als nur analytische Dekonstruktion, nämlich transformierende Gestaltung, Explorationen, Verzerrungen, Simulationen, Karikierung, Verdichtungen, Spiegelungen, Übertreibungen, Deutungen, Ironisierungen – d.h. Aufbrechen von Möglichkeitsräumen, Schärfung des Möglichkeitssinns und die Kunst, ästhetische Wirkung zu interpretieren, zu entwerfen und widerständig zu produzieren.

Literatur

Assmann, J. (2015): Exodus. Die Revolution der Alten Welt, München: Beck

Borner, J., Ochsenfarth, A., Ronzheimer, M. (2019): Impact-Journalismus und zielgenaues Storytelling für gesellschaftlichen Wandel. Dessau: UBA 2019

Kristof, A. (2013): Das große Heft, Berlin: Rotbuch-Verlag

Lagnado, L. (2020): Diese Bienale ist Testgebiet, der Freitag, Nr. 40, 1.Oktober

Latour, B. (2017): Kampf um Gaia. Berlin: Suhrcamp

Dürbeck, G. (2018): Narrative des Anthropozän – Systematisierung eines interdisziplinären Diskurses. In: Kulturwissenschaftliche Zeitschrift. 3.Jahrgang 2018 Heft 1, S.3

Bovermann, P. (2019): Wir sind untröstlich. Warum Melancholie die einzig angemessene Reaktion auf die drohende Klimakatastrophe ist, in: Süddeutsche Zeitung, München, 22./23.Juni

Müller-Christ, G., Borner, J., Hagedorn, F., Klaar, S., Klein, T., Rüfer, K. (2020): Erzähllinien für Nachhaltigkeit und Transformation – Leitfaden für transparente BNE-Narrative. Berlin: BMBF

Schneider, B. (2018): Klimabilder. Eine Genealogie globaler Bildpolitiken von Klima und Klimawandel. Berlin Matthes & Seitz


Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in:

Alfons Matheis &Clemens Schwender (Hg.): Als gäbe es ein Morgen – Nachhaltigkeit wollen, sollen, können. Weimar bei Marburg 2020: Metropolis-Verlag

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1 Kommentar

  1. JH

    Sorry – größtenteils hochtrabend daherschwfafelndes Geplätscher – verstehe hier nur Bahnhof – hat mich leider 0 abgeholt!
    Nachhaltig zu Kommunizieren scheint wirklich eine Kunst, die gelernt sein will.
    Das war grad zumind. mein Eindruck im Ersten Kontakt mit diesem Newsletter.
    Kürzer, prägnanter, Kernpunkte herausstellen, reale Bezüge – fehlt mir hier & …
    andersrum wird ein Schuh draus: Das innere Atelier füllt die Wirklichkeit des realen Resonanzraumes.
    Um aber Resonanz zu erlangen muss erst etwas in mir nachempfindbar anklingen – Das fehlte mir hier leider völlig – Bin hier wohl leider nicht Thema.
    Nichts für ungut – Nutzt diese Kritik gerne, wenn ihr zukünftig vllt auch andere außerhalb Eurer Blase für Eure sicher nicht unerheblichen Thematiken für einen Wandel erreichen wollt – solong – ! 😉

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