Klima und Nachhaltigkeit im Internet. Beiträge zur Transformation?
Von Friedrich Hagedorn
„Der Begriff ‚Nachhaltigkeit‘ verschleiert die komplexen Zusammenhänge in der Natur und die zwischen Umwelt und Gesellschaft. Er liefert keine Antwort, sondern wirft Fragen auf. Der Begriff ist schädlich.“ So formulierte es ein kürzlich publizierter Beitrag auf Spiegel Online (Bojanowski 2014) und demonstriert damit ein – zumindest journalistisches – Grundproblem in der medialen Nachhaltigkeits- und auch Klima-Kommunikation. Bereits vor 10 Jahren hatte das Grimme-Institut im Auftrag des Rates für Nachhaltige Entwicklung eine Studie erstellt, welche die mediale Präsentation von Nachhaltigkeit bzw. Nachhaltigkeitsthemen in ausgewählten „prototypischen“ Fernsehprogrammen untersuchte (TV-Medien und Nachhaltigkeit 2004). „Nachhaltigkeit hat im Fernsehen kein Gesicht“, lautete das pointierte Ergebnis dieser Studie. Der Begriff Nachhaltigkeit und die mit ihm verbundenen Ansprüche wurden von den befragten Medienschaffenden als zu komplex, zu kopflastig, zu pädagogisch, zu unattraktiv – und daher insgesamt eben als untauglich und sogar als eher hinderlich für die konkrete Fernseh-Praxis angesehen. Dies reichte soweit, dass sogar Sendungen, die in der Studie als durchaus nachhaltigkeitsorientiert bewertet wurden, etwa im Aufzeigen von sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen, von den eigenen Redakteuren nicht mit dem Nachhaltigkeitsleitbild in Verbindung gebracht wurden. Auch zehn Jahre danach sind die journalistischen Widerstände gegenüber Nachhaltigkeit offenbar weiterhin aktuell.
Dies, obwohl sich in der vergangenen Dekade die Ausgangssituation entscheidend verändert hat. Bereits vor 10 Jahren ließ die Konzentration auf das Medium Fernsehen nur begrenzte Aussagen zur medialen Vermittlung von Nachhaltigkeit zu. Erst recht muss heute danach gefragt werden, ob die neuen und erweiterten Publikations- und Partizipationsmöglichkeiten im Internet auch zu neuen medialen Kommunikationsformen mit größerer Beteiligung geführt haben und damit die journalistischen Vorbehalte relativieren. „Partizipation, Transparenz, Machtverschiebung, Wandel, Dematerialisierung, Innovationen und Öffnung, das sind die entscheidenden Dimensionen des Internets der Nachhaltigkeit. Sie können eine nachhaltige Entwicklung voran bringen“, schreibt Martin Kleene, der Mitbegründer des Online-Portals für nachhaltigen Konsum „utopia.de„(Kleene 2014).
Gleichzeitig sind auch die realen Entwicklungen, die ein konsequentes Nachhaltigkeits-Verhalten dringender denn je erfordern, immer deutlicher sichtbar geworden. Seien es politische, soziale oder ökologische Krisen: Nicht zuletzt der Klimawandel beweist, dass ein Umsteuern gesellschaftlicher Wohlstandsmodelle, Entwicklungsziele und Leitbilder unabdingbar ist. Doch zeigt sich diese Transformations-Herausforderung auch in der medialen Kommunikation?
Klima-Kommunikation beim Grimme Online Award
Da mir Studie keine bekannt ist, welche eine medienübergreifende Untersuchung von medialer Nachhaltigkeitskommunikation zum Gegenstand hat , soll an dieser Stelle ein Blick auf 14 Jahre Grimme Online Award geworfen werden. Für diesen Beitrag wurde dabei eine inhaltliche Fokussierung auf Fragen der Klimaveränderung bzw. des Klimawandels und damit direkt verknüpfter Themen gewählt. Als empirische Basis dienen die Wettbewerbsbeiträge und Preisentscheidungen über einen Zeitraum von 14 Jahren.
Von 2001, dem Jahr, in dem der Grimme Online Award erstmals verliehen wurde, bis 2014, wurden zum Wettbewerb insgesamt rund 19.00 Vorschläge eingereicht, die zu über 350 Nominierungen und schließlich 103 Preisentscheidungen führten.
Zwar bietet auch dies kein repräsentatives Abbild der Online-Kommunikation, da sich der Grimme Online Award auf publizistisch relevante Web-Angebote konzentriert und zudem abhängig ist von dem, was Anbieter und Nutzer einreichen. Und doch dürften die große Zahl von eingereichten Online-Beiträgen sowie deren sorgfältige jährliche Betrachtung und Bewertung durch Nominierungskommissionen und Jurys bestimmte Rückschlüsse zur qualitativen publizistischen Präsenz von Klima- und anderen Themen im Internet zulassen.
Soweit es sich in den zum Grimme Online Award eingereichten Vorschlägen ablesen lässt, spiegelt sich im publizistischen Web – die Social-Media-Kommunikation bedürfte einer eigenen Untersuchung – die Nachrichtenlage in den klassischen Medien wider. Dies natürlich auch, weil Fernseh-Redaktionen und große Zeitschriften ihre Online-Angebote in der Regel mit den gleichen Themen bestücken, wie sie auch in den Ausgangsmedien präsentiert werden.
So gab es gerade anlässlich der – gescheiterten – Klimagipfel 2009 in Kopenhagen und 2011 in Durban, auf die sich ursprünglich große Hoffnungen gerichtet hatten, eine umfangreichere Berichterstattung. Dies zeigt sich in Online-Dossiers, Web-Specials, Blogs und weiteren Beiträgen im Internet.
Große Medien-Anbieter wie ZEIT, ZDF und WDR publizierten spezielle Online-Angebote zum Thema, die großenteils noch heute online sind, etwa auf ZEIT.de (letzter Beitrag von September 2013!) oder auf WDR.de. Zum Kopenhagener Klimagipfel erstellte die Tagesschau ein eigenes Web-TV.
Blogs zum Thema Klima(wandel) kamen ebenfalls eher von öffentlichen Medien oder Institutionen, zum Beispiel das 2010 eingereichte Blog der Böll-Stiftung oder das 2011 im Wettbewerb vertretene Klima-Blog des SWR und die mehrfach vorgeschlagene „Klimalounge„in den Wissensblogs von „Spektrum der Wissenschaft“.
Das einzige, seit 2009 kontinuierlich präsente, eigenständige und unabhängige Online-Angebot zum Klimawandel war und ist „Klimaretter.info„, das auch als einzig expliziter Wettbewerbsbeitrag zum Thema Klima eine Nominierung erhielt, nämlich im Jahr 2012.
Obwohl es, diesen Rückschluss lassen auch andere Beiträge dieser Publikation zu, sicherlich zahlreiche Blogs und Online-Beiträge insbesondere im Social Media-Bereich zum Themenkomplex Klima und Klimawandel gibt, so dürften diese doch eher in einer ohnehin informierten und sensibilisierten Community kursieren und daher nur begrenzten Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung haben.
Während eine explizite Thematisierung des Klimawandels nach der Enttäuschung über die dürftigen Ergebnisse der großen Klimakonferenzen eher rückläufig zu sein scheint, so gilt das allerdings keineswegs für eine implizite Thematisierung in konkreten Fragen von Alltag, Politik und Gesellschaft. Beispielhaft stehen dafür verschiedene Preisträger des Grimme Online Award, etwa aus dem Jahr 2012 die Website „Zukunft Mobilität„, bei der zu unterschiedlichsten Aspekten unserer mobilen Zukunft auch immer wieder der Zusammenhang zu ökologischen Fragen beleuchtet wird, oder das ARTE-Special „Amazonien – die Seele der Indios„, zu dem es in der Jurybegründung heißt: „Mit Schlagwörtern, Glossar und dezenter Menüführung sowie einer sorgfältig komponierten Abfolge der Videos setzt das Angebot zudem Maßstäbe, nämlich wie sich auch ein komplexes Thema, in diesem Fall die Klimaveränderung, in seinen unterschiedlichen Aspekten strukturieren und gleichzeitig mit einer beispielhaften Sammlung von Bewegtbildaufnahmen gekonnt visualisieren lässt.“ (Jury-Begründung 2012) In den 2013 nominierten „Prenzlauer Berg Nachrichten“ brechen verschiedene Artikel immer wieder das große Klimathema auf die lokale Ebene runter, und 2014 beweist das prämierte Doku-Game „Fort McMoney“ von ARTE, wie vor dem Hintergrund einer realen Situation ökologisch-soziale Zusammenhänge und Handlungsoptionen spielerisch erschlossen werden können.
Transformation durch Medien?
Doch das grundsätzliche Dilemma bleibt: Wir können eine immense Ausbreitung von Nachhaltigkeitsperspektiven und -Themen in der medialen Kommunikation beobachten, die auch in unterschiedlichster Form Beziehungen zum realen Lebensalltag herstellt: vom mobilen Produkt-Check (http://www.codecheck.info) über diverse Charing-Plattformen (vgl. http://www.lets-share.de) bis hin zum nachhaltigen Reisen (z.B. http://forumandersreisen.de/). Doch scheinen all diese kommunikativen und lebenswirklichen Ansätze – selbst in ihrer Summe – bislang keine Transformation der dominierenden gesellschaftlichen Kommunikation in Richtung Nachhaltigkeit bewirken zu können geschweige denn eine Transformation dominierender gesellschaftlicher Realität.
Und auch der Einfluss der Rezeption von Medienbeiträgen, die sich mit dem Klimawandel befassen, auf das tatsächliche individuelle Verhalten scheint eher zweifelhaft. So kommen Taddicken und Neverla in Auswertung vorliegender Studien und auf Basis einer repräsentativen Online-Befragung zu einem interessanten Befund: „Der Umfang der Mediennutzung, unabhängig ob alltägliche oder themenspezifische Mediennutzung, steht also in keinem Zusammenhang zur emotionalen Bewertung des Klimawandels“ (Taddicken/ Neverla 2011, S. 519), ebenso nicht „zur konativen Komponente in Form von Verantwortungs- und Handlungsbereitschaft“ (ebd.).
Es kommt also nicht darauf an, wie vor 10 Jahren, Nachhaltigkeitsaspekten irgendwie vermehrt in die (massen-) mediale Kommunikation zu bringen. Denn was nützt ein ständiger Alarmismus in Sachen Klimawandel, Ressourcenknappheit oder Artensterben, wenn er nicht zu einer gesellschaftlichen Änderungsperspektive führt, die auch dem Einzelnen nachhaltige Handlungsoptionen eröffnet. Diese müssen angesichts der gewaltigen Herausforderungen mehr sein als Car-Sharing, Wärmedämmung oder „veggi-day“ – und sie müssen vor allem eingebunden sein in glaubwürdige Transformationsstrategien der gesellschaftlichen Entscheider.
Dabei geht es nicht um den Begriff Nachhaltigkeit. Der ist trotz andauernder Widerstände und Distanzierungen auch im Journalismus mehr und mehr akzeptiert. Auch die anfangs zitierte Kritik an der sicherlich zutreffenden Schwammigkeit und instrumentellen Verwendung des Begriffs Nachhaltigkeit trifft nicht den Kern. Denn bei Begriffen und Leitorientierungen wie Demokratie, Gerechtigkeit oder Verantwortung ist es ja nicht anders. Dennoch käme niemand auf die Idee, sie aus der öffentlichen Kommunikation verbannen zu wollen. Der Unterschied besteht nur in der – z.T. ja über Jahrhunderte erstrittenen – normativen, rechtlichen und institutionellen Durchsetzung dieser Leitorientierungen in unserer Gesellschaft. Die Nachhaltigkeit ist hier noch am Anfang. Es ist nur zu befürchten, dass ihr nicht mehr so viel Zeit bleibt für eine wirksame Transformation.
Die große Vielfalt der medialen Nachhaltigkeitskommunikation wird uns daher erhalten bleiben, und wir sollten und können nicht jedes Projekt daran messen, ob es nun einen relevanten Beitrag zu einer nachhaltigen Umsteuerung der Gesellschaft leistet.
„Heute bin ich richtig glücklich, wenn ich ein verbleibendes Stückchen ungestörten Urwald sehe, mitten in einem Meer von kahlgeschlagenem Land. Ganz gleich wie klein es ist, es ist weit besser als nichts.“ So beschreibt Jorgen Randers seine gewandelte Haltung 40 Jahre nach seinem ersten Bericht »Zur Lage der Menschheit« an den Club of Rome (Randers 2014). Vielleicht ist das ja auch eine hoffnungsvolle Perspektive auf die kommunikativen Urwald-Inseln der Nachhaltigkeit.
Literatur
Friedrich Hagedorn (Grimme Institut)
Friedrich Hagedorn leitet im Grimme-Institut das Referat Medienbildung, in dem sich Projekte und Angebote versammeln, die auf eine kompetente Mediennutzung zielen und sich an unterschiedliche Adressaten aus Bildung, Kultur, Medien, Wissenschaft, Politik und Organisationen der Zivilgesellschaft richten. Er entwickelte und verantwortet den Grimme Online Award. Friedrich Hagedorn vertritt das Institut beim „Runden Tisch“ der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Er hat verschiedene Projekte zur Nachhaltigkeits- und Umweltkommunikation betreut dazu zahlreiche Beiträge publiziert. Fachliche Schwerpunkte sind: (Weiter-) Bildung und Online-Kommunikation, Vermittlung von Medienkompetenz, neue Formen der medialen Wissensvermittlung, Nachhaltigkeitskommunikation.