Kommunikationserfahrungen aus der Transition-Kampagne Hydroaycen
In dem spanisch gesprochenen Video spricht Juan Pablo Orrego, Träger des alternativen Nobelpreises, über seine Kommunikations-Erfahrungen aus einer großen Umweltkampagne gegen ein hydroelektrisches Megaprojekt. Hier können Sie es auf deutsch lesen.
Juan Pablo Orrego, ECOSISTEMAS, Santiago de Chile
Die ganze Kommunikationsarbeit [über die ich hier spreche] ist für eine große Umweltkampagne, beispielsweise gegen ein hydroelektrisches Megaprojekt. So wie die Kampagne, die wir letztens gemacht haben. Diese war tatsächlich sehr erfolgreich, denn das Projekt wurde gestoppt. Zwar handelt es sich um eine temporäre Aussetzung, aber dennoch wurde es gestoppt.
Die Kommunikationsarbeit war wirklich majestätisch und sehr effektiv. Der größte Beweis dafür ist, dass, als HydroAysen genehmigt wurde, in Santiago 200.000 Leute zum Demonstrieren auf die Straße gingen. Nicht nur in Santiago, sondern auch in regionalen Städten im Norden, im Zentrum und im Süden. Zweifellos ist das der Effekt einer sehr effektiven Kommunikationskampagne, die es schafft, gleichzeitig das Visier, Emotionen und den Verstand anzusprechen.
Das Ziel sollte sein, diese drei Elemente zu vereinen. Ohne Zweifel sind die Menschen die Basis einer so intensiven und starken Kampagne, und es ist wichtig, viele Menschen zu haben, die mitarbeiten. Bei “Patagonia ohne Repressalien” hat sich eine Art Koalition formiert. Das haben wir aus Zeiten der Verteidigung von BioBio gelernt, und später aus der Opposition zum Projekt im Fjord Aysen.
Die einzige Möglichkeit, sich diesen Monstern gegenüberzustellen, ist es, Koalitionen zu bilden, die einen Querschnitt abbilden – diverse Koalitionen mit sehr verschiedenen Leuten, Leuten mit verschiedenen Arten von Fähigkeiten, Wissen, Instrumenten, Werkzeugen, bereichsübergreifende Koalitionen. Das, was dabei am Ende herauskommt, ist wie eine Guerilla-Strategie, auch wenn mir kriegerische Metaphern nicht gefallen.
Eine Guerilla-Strategie, in der alle Nischen besetzt werden, die sich auftun. Es darf nie vorkommen, dass das Unternehmen oder die Regierung eine Aussage zugunsten der Wasserkraftanlage macht, ohne eine Antwort darauf zu bekommen. Es muss also immer jemand aus der Gruppe der Sprecher vor Ort sein. Wir hatten am Ende ein Team von 8 offiziellen Sprechern. Diese haben verschiedene Kompetenzen, verschiedenes Wissen, um je nach Gebiet passende Antworten zu haben. Wir haben die Sprecher auf bestimmte Antworten geeicht, ob es nun um politische, technische oder ökologische Expertise ging.
Diese Antworten müssen das System durchdringen, deswegen machten wir Rezensionen, Seminare, Vorträge. Diese wurden ursprünglich von uns angefangen, aber nach einiger Zeit gab es plötzlich eine spontane und unhaltbare Nachfrage nach dem, was wir zu verteilen hatten. Eine Nachfrage nach Vorträgen in der Universität, in Schulen, Seminare und Events. Wir mussten uns aufteilen, und mit Kalender planen, denn die Nachfrage war enorm.
Unsere Strategie war der Versand von Briefen an die Herausgeber verschiedener Tageszeitungen, große Anzeigen in Tageszeitungen, wie diese hier. Eine Anzeige erschien in der Zeitung “La Tercera”, einer sehr wichtigen Zeitung. Nicht, dass sie mir gefällt, es ist eine konservative Zeitung, aber eine der meistgelesenen in Chile. Wir konnten mit dieser Nachricht, mit dieser Grimasse, eine komplette Seite füllen, weil wir einen Philanthropen hatten, der Angelegenheiten wie diese finanzieren wollte. Außerdem gibt es große Werbetafeln, die an chilenischen Autobahnen stehen oder an anderen strategischen Orten, wie dem Flughafen.
Die Leute kamen nach Chile, an den Flughafen, und standen inmitten dieser enormen Reklametafeln. Das ist sehr wichtig. Eine Kommunikationskampagne, die viel Eindruck hinterließ, war von einer konventionellen Werbeagentur entwickelt und durchgeführt worden, aber für eine Umweltkampagne. Sie waren nicht irgendein beliebiger Auftragnehmer, den man bezahlt – und sie wurden bezahlt. Aber sie entwickelten Empathie und Sympathie für das Projekt, und das merkte man. Denn die Designs der Kampagnen waren sehr durchdacht, eine erfolgreicher als die nächste, es war fantastisch.
Einfach und ohne Zweifel, und es handelte sich hierbei um Werbeausgaben. Aber wir hatten immer viel darüber reflektiert, mit den Leuten darüber geredet. Aber in Wirklichkeit machten wir keine Werbung, denn normalerweise will Werbung etwas verkaufen. Wir nutzen diese Werbeaufwendungen, um Aufklärungsarbeit/ Bildungsarbeit zu leisten. Unser Fokus ist im Bildungsbereich, in der öffentlichen Bildung, zu Themen, über die uns die Regierung, der Staat, und natürlich die Unternehmen im Dunkeln halten wollen. Deswegen müssen wir diese Themen auf die Agenda bringen. Und das hier ist ziemlich lustig, ich weiß nicht, ob du das mit der Kamera sehen kannst, das hat sich einer von uns ausgedacht, ich weiß nicht mehr genau, wer, wahrscheinlich Tomkins: die Formulierung von 9 Gründen gegen die Transmissionshilfe…
Es war weder eine begründete noch eine esoterische oder mathematische Entscheidung. 9 ist eine esoterische Nummer für die Mapuches, eine sehr mächtige Nummer, 3 plus 3 plus 3. Danach wurde es kopiert. Andere Leute nutzten es für andere Sachen, inklusive für Werbezwecke, “die neun Gründe für – ”. Wir haben uns die Köpfe zerbrochen – ich war beteiligt am Schreiben. Die Erstellung dieser Anzeige dauerte sehr lange, um diese 9 Gründe zu finden; wir mussten unsere Argumente auf 9 synthetisieren. Ich erzähle das als eine sympathische, lustige Geschichte – denn plötzlich kommt irgendwem eine Idee, völlig willkürlich, aber letzten Endes ist es doch eine gute Idee. Sie hatte einen sehr positiven Effekt.
Um zum Schluss zu kommen: Die Strategie basierte als erstes auf einer Koalition aus einflussreichen Sprechern, Frauen und Männer zugleich, und trotzdem mit verschiedenen Know-Hows, was sehr wichtig ist. Leute mit verschiedenem Charisma, verschiedenen Ressourcen, einige formaler, einige informaler. Das ist sehr nützlich, denn es sorgt dafür, dass jeder Sprecher jeweils in verschiedenen Zuhörergruppen Sympathien hervorruft, so dass die Gesamtheit dieser Sprecher am Ende ein sehr weites Spektrum abdeckt.
Ein anderer zentraler Aspekt der Kampagne “Patagonia sin represas” ist, dass wir uns mit unserer Opposition gegenüber HydroAysen im Makrokontext auch dem ökonomischen Entwicklungsmodell und der Energiepolitik von Chile, die mit dieser destruktiven Phase in Bezug auf Primärrohstoffe einhergeht, gegenübergestellt haben. Dieses Vorgehen erlaubte uns, verschiedene politische Sektoren und Gewerkschaften mit einzubeziehen, unter anderem auch soziale Organisationen, die eigentlich keinen Umweltbezug haben, aber welche dieser Diskurs mitnimmt und sie zu einem Teil davon macht.
Sogar Feroz, der Bischof von Aysen, wurde zu unserem Verbündeten. Der Bischof Luis Infante hat einen sehr linken Theologie- und Freiheitsdiskurs, mit starkem Bezug zum Raub der chilenischen Gewässer. Die technischen Sachen hat er von uns gelernt. Als die Kampagne begann, war er überhaupt nicht in solche Sachen involviert, und jetzt ist er ein Leader in Chile in Sachen Wasser, ein sehr wichtiges Vorbild. Ich bin nicht katholisch, ich bin katholisch erzogen worden, und ich habe mich später dekonstruiert. Dennoch verstehe ich, wie wertvoll es ist, den Bischof von Aysen als Verbündeten zu haben, zumal er eine sehr wertvolle Person ist. Es ist sehr wirkungsvoll, denn es bricht mit bestimmten Schemata. Eine Strategie, die wir auch in der Zeit in BioBio gelernt haben, ist es, in den Mutterländern der Unternehmen Lobbying zu betreiben, sowohl mit den Unternehmen als auch den Banken.
Es war ein Schock für ENEL, das Unternehmen, das die Flüsse im Süden Chiles kontrolliert, als wir den Bischof Infante dabei hatten. Ich war der Koordinator der internationalen Kampagne. Der Bischof Infante sprach vor den Vereinten Aktionären von ENEL. Die Ökologen, die wir im Vorjahr dabei hatten, können nicht so viel ausrichten. Aber dass plötzlich ein Bischof in Person dastand, italienischer Herkunft, der auf Italienisch von der Hydro-Mafia und dem Raub an chilenischen Gewässern spricht, und vom Verlust der Souveränität, der mit dem Verlust dieser Flüsse einhergeht, warf den Direktor von ENEL zurück.
Mit offenem Mund standen sie da und wussten nicht, was sie tun sollten. Dazu gibt es eine schöne Anekdote: 2009 hat ENEL ENDESA Spanien gekauft; ich flog hin. Ich hatte ein von mir geschriebenes Memorandum dabei, mit fast allen Argumenten gegen den Bau des Projekts. Es war einfach aufbereitet, und es gibt noch immer ein Dokument mit dem Titel „Fundament der Kampagne ‚Patagonia Sin Represas‘“, das auf diesem Fundament beruht. Mich haben Leute von der Abteilung für Unternehmensverantwortung, CSR, empfangen, was natürlich eine Farce ist – diese Leute verkaufen im Grunde ein Image des Unternehmens. Ich sagte zu ihnen: „Ihr begebt euch in eine brenzlige Lage, aus der ihr so schnell nicht mehr rauskommt. Ganz Chile wird sich euch entgegenstellen.“
Manchmal überlege ich: Was denken sie, wenn sie an dieses Treffen 2009 zurückdenken? Denn natürlich haben sie nicht auf mich gehört, sondern mit dem Projekt weitergemacht, und sie wurden mit dem vorhergesagten Aufstand konfrontiert. Es hätte anders verlaufen können, wenn sie auf diese chilenischen Sprecher gehört hätten, und ihnen wäre klargeworden, dass wir die Wahrheit sagten. Das letzte Element, das man berücksichtigen muss, ist sehr wichtig: Über Alternativen zu dem Projekt, gegen das man sich stellt, zu reden. Und das ist tatsächlich eine unfaire Aufgabe, denn wir sind Ökologen, und keine Ingenieure. Aber seit der Zeit des BioBio mussten wir viel über solche Sachen nachdenken, denn die Leute wollen nicht nur ein „Nein!“ zu etwas hören. Sie wollen aus guten Gründen ein „Nein!“, und eben auch Alternativen hören.
Das Thema der Energien ist sehr aufgeladen, mit dem ganzen Druck von Seiten der Presse: „In Chile werden die Lichter ausgehen, wir werden ohne Elektrizität dastehen“ etc. Wir hatten Unterstützung von einer nordamerikanischen Organisation. Bei solchen Dingen muss man Unterstützer haben. Sie haben uns finanziell unterstützt. In der Tat haben sie die ersten drei Studien, die in dieser Zeit über das Potenzial von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien in Chile gemacht wurden, finanziert. Wir mussten diese Studien machen. Wir erstellten kleine Bücher mit Experten, einige Ingenieure. Ein unglaublicher Aufwand mit winzigem Budget, ohne Zweifel. Eine der Studien zeigte, dass nicht nur wir gegen das Projekt waren, sondern dass es eine Erhebung von Seiten der Bürger gab.
Wir gaben dieser Bewegung Nummern, Ziffern. Heute gibt es eine riesige Debatte, mit täglichen Seminaren zum Thema Wasserkraft vs. Solar- oder Windenergie. Wenn man in die Zeitung sieht, ist es sehr beeindruckend! Zu Beginn der Kampagne „Patagonia sin Represas“ gab es diese Diskussion nicht. Eine bürgerliche Kampagne hat ein riesiges Thema auf die Agenda gebracht. Und es gibt einen weiteren Effekt durch unseren Stopp von HydroAysen: Andere Gruppen stoppten ein Wärmekraftwerk, Castilla im Norden.
Es passiert genau das, was wir provozieren wollten – es füllt sich mit Solar- und Windenergieprojekten. Vor allem mit Solarenergie, was uns besonders gefällt, denn große Windenergieprojekte generieren auch viele Probleme. Kommunikation, das Thema der Werbung… – Man muss sehr kreativ sein, sehr innovativ, und manchmal muss man sehr wagemutig sein. Und natürlich muss man sich zusammentun, was in unserem Fall passierte. Alle Leute, die für die Kommunikation verantwortlich waren, von „Ecosistemas“, von „Chile Sustentable“, Mizi, verschiedene Personen, viele Frauen interessanterweise – sie trafen sich regelmäßig, und stärkten sich gegenseitig in der Entwicklung dieser Ideen und Antworten, Bücher über das Energiethema – all das ist letztendlich wie ein Querschnitt, eine sphärische Sache mit vielen Facetten, über die ich glücklich bin – glücklich über das Resultat, das in diesem Fall die Kampagne hatte.