Unsere Ernährung: Tür zur Nachhaltigkeit?
Von Madeleine Porr und Kilian Rüfer
Was ist das doch immer noch für ein verschwommener Begriff: nachhaltig. Ist er nun einfach ein beliebig zuschreibbares Werbe-Etikett und anwendbar für alles zwischen Babybrei und Firmenstrategie? Oder steckt hinter ihm nicht doch vielmehr eine neue Denkweise mit Handlungsmöglichkeiten, die den Menschen wieder ihre alltägliche Wirkmächtigkeit zurückgeben?
Leicht werden die Fragen, die auf eine konsequente Umsetzung von ‘Nachhaltigkeit‘ abzielen, als ideologischer Aufruf “Zurück in die Steinzeit!” missgedeutet. Nachhaltig leben hieße, zukünftig auf alle sogenannten zivilisatorischen Errungenschaften verzichten zu müssen – so die Befürchtungen.
Da fällt dann allerdings völlig unter den Tisch, dass unsere “Errungenschaften” auf wackligen Füßen stehen: Wir haben für sie so sehr von unserer Substanz gezehrt – der Luft, den Böden, dem Wasser, unserer Gesundheit, dem sozialen Zusammenhalt u.v.m. -, dass ein Weiter-So nicht nur nicht mehr zur Debatte steht, sondern schlicht gar nicht mehr möglich ist.
Aber rationale Argumente alleine haben noch nie gesellschaftliche Veränderungen ausgelöst. Um Menschen vom Wissen zum Handeln motivieren zu können, ist eine persönliche, emotionale Berührtheit, Betroffenheit grundlegend. Und ein lebenspraktischer Anknüpfungspunkt.
Beim Thema Ernährung und Lebensmittel trifft all das zusammen. Auch berührt unsere Ernährung die wesentlichen Dimensionen der Nachhaltigkeit:
- Ökologie: Klima, Biodiversität, Boden und Wasser
- Soziales und Kultur: Gesundheit, Bildung, inklusive Partizipation, Geselligkeit und Genuss
- Wirtschaft: dauerhaft betreibbar ohne Einbußen für nachkommende Generationen
Mit einem ernährungsbezogenen Framing kann ein anschauliches Erzählen der großen Meta-Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz leichter fallen. Noch leichter aber ist es, wenn es wirklich etwas zu erzählen gibt – sprich: Es passiert etwas Außergewöhnliches. Dort, wo die Initiativen für Nachhaltigkeit aktiv sind, finden wir Futter für bewegende Stories – der Nachrichtenwert steigt.
Ernährungswende in Berliner Kiezen. Gutes Futter für Medien
In Berliner Kiezen bauen derzeit die verschiedensten Initiativen LebensMittelPunkte auf. Das sind Orte, an denen das Leben im Mittelpunkt steht. Und Punkte, an denen es um Lebensmittel geht.
LebensMittelPunkte sind Orte in den Berliner Kiezen, in denen man nicht nur wirklich nachhaltige Nahrung findet, sondern auch viel über diese lernen, sie weiterverarbeiten und sich mit Berliner*innen aus dem eigenen Kiez austauschen kann. Sie sollen offen für alle sein – unabhängig von Einkommen, Bildung, Geschlecht, Hautfarbe oder kulturellem Hintergrund – das ist die Vision. Die im LebensMittelPunkt erhältlichen Lebensmittel kommen aus regionalen, kleinen Strukturen wie nachhaltige Landwirtschaft, urbane Gärten, den Verteilnetzen solidarischer Landwirtschaft oder aus Lebensmittel-Überschüssen, die sonst trotz bestehender Haltbarkeit und Unbedenklichkeit im Abfall landen würden.
Den Aufbau dieser Bildungs- und Erfahrungsorte haben wir bereits ausführlich portraitiert. Spannend daran ist auch, dass an diesen Lernorten gut das Gefühl der Selbstwirksamkeit vermittelt werden kann – eine essentielle psychische Ressource für robuste Verhaltensänderungen.
Wie aber lässt sich das Ganze gut in die Breite tragen?
Eine grundlegende Komponente ist das Projektdesign selbst. Um “Magnet für alle” zu sein, müssen natürlich die Angebote “für alle” anziehend sein. Eine wesentliche weitere Rolle aber wird die Kommunikation spielen. Hier wird es nun eine Herausforderung sein, alle bereits bewährten Good Practices zu nutzen und darüber hinaus zu kombinieren mit neuen, pfiffigen Herangehensweisen.
Die Beschreibung der LebensMittelPunkte wurde nach dem Storytelling-Prinzip der Held*innenreise aufgebaut – unsere Held*innen sind die Initiativen, Mentor ist der Berliner Ernährungsrat und Antagonist*innen sind die nicht-nachhaltigen Tendenzen in unserer Lebensmittelwirtschaft. Eine weitere erzählerische Komponente sind Tomaten. Von ihrer Herstellung bis in den Magen lassen sich die sonst so abstrakten Nachhaltigkeits-Themen anschaulich an diesem Beispiel erzählen. Das sind erste Ansätze.
Zur Story: Ernährungswende in Berlin: vom Reden zum Machen!
Wir brauchen neue Geschichten und neue Bilder, um den sperrigen Begriff Nachhaltigkeit bekömmlicher servieren zu können. Genau dies bieten die Initiativen mit ihrem Engagement für eine nachhaltige Ernährung.
Toll an Berlin ist, dass es hier so lebendige miteinander verzahnte Initiativen gibt und zugleich an vielen Orten eine Offenheit für avantgardistische Lebensstile. Deshalb fallen auch die Anstrengungen hinsichtlich nachhaltig-gesunder Ernährung auf so fruchtbaren Boden. Nun wird es spannend sein herauszufinden, ob über diesen Zugang auch Interesse bei denen geweckt werden kann, für die das Thema ‘Nachhaltigkeit im Alltag‘ bislang weit entfernt war.
Was denken Sie, wie die Stories aus den Kiezen bestmöglich in die Breite getragen werden können? Haben Sie Lust, sich an einem digitalen Brainstorming zu beteiligen? Es freuen sich auf Ihre Kommentare: Kilian Rüfer und Madeleine Porr.
Mein Artikel in der taz zur Ernährungsstrategie des Berliner Senats vom 11.12. kann hier gelesen werden:
https://taz.de/Ernaehrungsstrategie/!5645880/