Von Berlin nach Paris. Nachhaltig bittere Pillen oder nur ein Kommunikations-Desaster?

Von Uwe Schultz

Worüber einen Beitrag leisten, wenn doch schon so vieles gesagt und geschrieben zu sein scheint, habe ich mich gefragt, nachdem ich meine Zusage für kleinere Beiträge gegeben habe. Schon Vier- bis Fünfjährige spüren und wissen doch, um was es geht. Leider haben sie keine Macht, Entscheidungen durchzusetzen. Wen noch »aufklären«, ermutigen oder um was geht es?

Bereits die Griechen und vermutlich unzählige Generationen anderer Kulturen zuvor haben sich ökologische Fragen gestellt. 2000 Jahre ist das her. Mindestens. Und wir haben es – in vielen historischen Etappen – vortrefflich geschafft, den Ursprung des Wortes »Oikos« (altgr.) zu trennen in Ökologie und Ökonomie.

50 Jahre nach den kreativ–rebellischen 60iger und 70iger Jahren, in denen die ökologischen Vordenker der Neuzeit eine hochgradig kontroverse Aufbruchsstimmung auslösten. Sie sprachen Klartext und die Gedanken fesseln mich bis heute.

20 Klima-Konferenzen, beginnend 1995 in Berlin (COP1): in diesen 20 Jahren haben sich die weltweiten Emissionen mehr als verdoppelt.

Und heute? Wir kennen die tagtäglichen Meldungen über den weltweiten Zustand der Erde.

Viele (fast alle) Indikatoren für nicht mehr in unserem Sinne umkehrbare ökologische Entwicklungen stehen auf 5 nach 12.

Was stimmt nicht? Bittere Pillen.

Nur ein Kommunikationsproblem? Sind es falsche Fragen, die wir uns stellen? Falsch, weil sie unser Denken vom Kern ablenken und ein Denken in den Vordergrund rückt, dass die Realität schönt, vielleicht sogar verbunden mit einem romantischen Natur-Begriff. Vielleicht.

»Change? Yes we can! Aber erst, wenn es sein muss«,

lautet die Überschrift einer spannenden Veröffentlichung von Sonja Grimm (MONREPOS Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution, Mainz 2014). »Der Klimawandel selbst löst keine Verhaltensänderungen beim Menschen aus, aber der umfassende Wandel der Umwelt und ihrer Ressourcen. Der Mensch hält an seinem Verhalten und der traditionellen Lebensweise fest, solange er irgend kann«. Klingt harmlos. Ist es aber nicht. Warum ist das so? Im Verlaufe der Evolution haben wir einen unermesslichen Schatz an impliziten wie expliziten Verhaltensweisen gewonnen, die wir bewusst und unbewusst nutzen. Unsere Anpassungsleistungen an sich verändernde Umweltbedingungen, in unser Gehirn eingepflanzt, sind enorm. Diese Veränderungen erfolgten in der Evolution über sehr lange Zeiträume hinweg, die wir uns kaum vorstellen können.

Die Arte-Dokumentation »Die Menschheitssaga« führt uns sehr einprägsam durch unsere Evolutions-Geschichte.

Heute ist das selbst verursachte Tempo der Veränderungen das Problem. Unser evolutionär geprägtes Gehirn ist darauf nicht eingestellt. Es tickt noch in seiner Urzeit-Form. Es ist auf ca. 3 Sekunden Gegenwart optimiert. Drei Sekunden, die über Leben oder Tod entscheiden könnten. Daran wird sich, so schnell wie es nötig wäre, auch nichts ändern. Wir begreifen nur sehr schwer, in welcher Zeitdimension uns die Evolution zu dem gemacht hat, was wir sind, Zeitdynamiken mit Beschleunigungen und Verzögerungen erfassen, begreifen und Antworten zu finden, die erst in x Jahren belohnt werden – und somit gegen Prinzipien unserer »kleinen grauen Zellen« des schnellen, sofortigen Lustgewinns verstoßen? Eine Herkules-Aufgabe.

Die Evolution im Zeitraffer: eine kleine Übersicht


Was stimmt nicht? Ein Kommunikations-Problem?

Von »Berlin nach Paris« ist auch ein Kommunikations-Problem. Ist es die Sprache mit sinn-entleerten Worten, betäubend-weichgespülte Bilder von Kampagnen, Werbeanzeigen und grünen Ver-Sprechern? Jede Unschärfe öffnet Türen für unendlich viele Nebenwege.

Sind es gar die schönen kleinen gelingenden Umwelt-Geschichten – so wichtig sie nicht nur als Geschichte sondern in ihrem realen Kontext sind – nach dem Motto: »geht doch« und ungewollt für viele andere als Beruhigungspille wirken? Ist es die Ohnmacht mit anzusehen, wie trotz allen Wissens…, ist es die im Hinterkopf schwelende Hoffnung, Technik und Wissenschaft werden es schon richten? Ist es die Langweiligkeit der Wiederholungen oder das bewusste wie unbewusste Abschalten aufgrund der Wiederholungen? Ist es das fehlende Aufbegehren über die »gesellschaftlich korrekte« Sprache oder das Vermeiden wollen des Unangenehm-Berührt-Seins? Was es bei mir ist? Von vielem etwas und es ist zunehmender Ärger über Des-Informationen und Etikettenschwindel.

Können Sie all diese Fragen und die damit verbundenen Bilder, Erfahrungen und Emotionen überhaupt noch ertragen?

Es gibt eine gute Nachricht.

Unsere kleinen grauen Zellen, im folgenden LimBio genannt, sorgen dafür, dass wir uns nicht allzu lange mit dem Nervigen beschäftigen. Sie sind auf Lust programmiert und wollen Unlust vermeiden. Sie tun dies ohne unser Zutun, ganz von alleine und bewahren uns so vor dem Wahrnehmungs-Kollaps. Der evolutionär gewachsene Wahrnehmungs-Filter ist gigantisch: Von 11 Millionen Informationseinheiten pro Sekunde erreichen ca. 40 unser Bewusstsein. Das sind 0,0004 Prozent. Alles andere wird, solange es nicht das Überleben gefährdet, sofort unbewusst sortiert, gespeichert oder aussortiert. Die gute Nachricht ist, wie Sie ahnen, auch die schlechte Nachricht.

Unser Gehirn braucht den Zucker der Hoffnung um zu leben. Und so ergeben sich »natürliche« Minimal-Chancen. Worin besteht die Kunst, unser LimBio für mehr als nur einen Augenblick fesselnd zu gewinnen, damit Botschaften nicht nur gehört werden, sondern auch aus sich heraus anhaltende, sich selbst erneuernde Wirkung entfalten?

Lust. Geheimnis. Ausgang offen.

Es sind poetische Geschichten, die ein Geheimnis bergen.

Es sind Bilder, die rätselhaft bleiben.

Es ist Spiel, Tanz, Gesang, die das Ganzheitliche in sich tragen.

Und: Es sind Geschichten, deren Ausgang nicht vorhersehbar und kalkulierbar ist und schon gar nicht mit Handlungs-auf-Forderungen enden. Sie sind verbunden mit Risiko, Eros, Kraft, Wagemut, Willen, Schönheit, Verzweiflung, Anmut, Abenteuer, Ästhetik, Unerwartetem, Bewegung.

Wie erotisch-ästhetisch klingt »nachhaltig«?

Was zieht Menschen an?

Unser Gehirn ist nicht auf Zwei-Dimensionales ausgelegt – so wie diese Zeilen, Power-Point, noch so schön gestaltete Tabellen oder exzellente Wissenschaftsberichte. Unser LimBio braucht zudem die dritte Dimension Raum und tiefste innere Berührung – sei es Angst, Neugier und Faszination für Ungewöhnliches. Sonst wird nichts wirklich bewusst wahrgenommen und schon gar nicht dauerhaft wirkend gespeichert.

Was fasziniert Menschen? Was bewegt Dich? … ist eine der genial einfach-bewegenden Fragen, die zu Antworten führt. Es sind Ereignisse, deren Ausgang nicht von vornherein klar ist – z.B. ein (Fußball)Spiel zwischen David und Goliath, mit Herz, Schmerz, Kampf, List, Freude und ein Über-sich-Hinauswachsen geführt. Es ist das Unerwartete und das Bewegende: Gewinnen – Verlieren. Standhalten – Untergehen. Es sind Spannungsfelder, die Menschen in den Bann ziehen. Und diese Spannungsfelder sind in unserem Gehirn angelegt und mit Lust-Hormonen verknüpft: Vier mal Lust, die in entgegengesetzte Richtungen zieht: Lust auf Macht. Lust auf Neues. Lust auf »Wir«. Lust auf Bewahren. Es ist jedes Mal eine andere Lust. Sie schließen sich gegenseitig aus. In dem Interview mit Friedrich Hagedorn erläutert Birthe Hesebeck diese limbischen Grundmuster. Die von Häusel entwickelte Emotions-Landkarte mit vielen praktischen Anwendungsmöglichkeiten ist das eine.

Und das andere: Soziale Systeme sind nicht berechenbar, wie wir 1989 und genau in den heutigen Tagen (Flüchtlinge) wieder einmal bewegend erfahren. Sie entwickeln ihre ureigene Dynamik. Wenn wir glauben, sie berechenbar machen zu können, ist es mit der Faszination schnell vorbei. Neurowissenschaft, Zeit-Dynamik und Kontext (systemische Schätze) zusammen führen: das wäre die spannende Aufgabe.

Wie listig, frivol und kampfesmutig klingt »Transformation«?

Und es klingt nicht nur nach … Der Begriff ist auch hochgradig irreführend. Die »Große Transformation« (Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, WBGU 2011) hätte nur eine Chance, wenn sich unser Bewusstsein transformieren ließe. Transformation bedeutet umformen (lateinisch: transformare). Der vorherige Zustand ist nicht wiederherstellbar. Aus einem Schmetterling wird keine Raupe mehr. Eine Transformation des Bewusstseins der Menschheit? Von wo wohin? Es würde schlicht bedeuten, dass wir all das, was wir über die Entstehung und die Funktionsweise unseres limbischen Systems wissen, negieren würden. Die Transformation der Gesellschaft ist eine unerfüllbare Zukunftshoffnung. Wer streut uns da Sand in die Augen und trägt so dazu bei, sich mit langweiligen, irrelevanten Fragen auseinanderzusetzen, Zeit und Energie zu verschwenden? Sind es bewusste oder unbewusste Ablenkungs-Manöver? Es geht nicht um die Große Transformation. Es geht um Macht.

Was ich mir wünsche? Freche Klarheit und Vorsicht paradoxerweise: Unklarheit.

Mein Zucker der Hoffnung ist Unberechenbarkeit.

Es ist nicht (nur) der rationale Plan. Es ist die Hoffnung auf die Unberechenbarkeit menschlicher Verhaltensweisen verbunden mit der Vielfalt des evolutionären, systemischen Schatzes, den die Menschheit in sich trägt. Vielleicht kommt der Tipping-Point, ausgelöst irgendwann und irgendwo von all den tausenden wunderbaren Initiativen und gelebter Ökologie, die schon jetzt einfach mal tun. Dann stellt sich die Machtfrage in allen Bereichen des gesellschaftlichen (Über-) Lebens. Ob mit oder ohne Paris 2015.


Uwe Schultz (KonzeptManufaktur)

Uwe Schultz berät Unternehmer seit über 25 Jahren bei der Konzeption und Umsetzung von ZukunftsStrategien: Seine Stärke ist es, komplexe Situationen schnell zu erfassen, zu ordnen und mit Kunden zusammen das Fundament für klare Lösungen zu legen.
Als Entwickler der NeuroStrategien verknüpft er Erkenntnisse aus Neurobiologie, Evolutions-, Lern- und Verhaltensforschung mit systemischen Methoden-Schätzen: »Komplex« denken und »einfach« mit Herz, Verstand und Intuition handeln, ist eine seiner Leitideen.
Das Thema Ökologie mit seinen vielschichtigen Facetten bewegt ihn seit den 70iger Jahren. Es fließt in seine Beratungs-Tätigkeit für Kunden nicht nur in der Branche der Erneuerbaren Energien ein.

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