Kompetenzen für die digitale Gesellschaft: Neue Herausforderungen erfordern neue Konzepte

Von Lars Gräßer und Friedrich Hagedorn

Während Medien in der Nachhaltigkeitsbildung und Umweltkommunikation vor allem als Instrumente zur Vermittlung von Themen und zum inhaltlichen Austausch angesehen werden, so muss ihre im klassischen Sinne funktionale Betrachtung doch mehr und mehr um ein anderes Perspektive ergänzt werden, die auf eine modernisierte, ganzheitliche medienökologische Sichtweise abzielt.

Denn Computer und Internet durchdringen unseren Lebensalltag, ihre Anwesenheit ist allgegenwärtig – ob Smartphone und iPad im Kindergarten (mit kindgerechten Apps, versteht sich) oder Hybrid-TV im Wohnzimmer, ob Funketiketten in Kleidung und Möbeln oder internetfähige Heizungen, ob elektronische Überwachung individueller Gesundheitsrisiken oder Google-Brillen mit GPS- und Online-Zugang: „Pervasive Computing“ und „Ubiquitous Computing“ bezeichnen eine neue Entwicklung in der digitalen Gesellschaft von heute: „Pervasive“ steht für „(alles) durchdringend“, „ubiquitous“ für „allgegenwärtig“ (vgl. hierzu auch den Aufsatz von Harald Gapski).

Allein die kommunikative Mediennutzung ist immens: Onliner in Deutschland, inzwischen über 79 Prozent aller über 14-Jährigen, bei den 14- bis 19-Jährigen sind es 100 Prozent, verbringen im Schnitt 166 Minuten täglich im Internet. Dabei treiben die mobilen Endgeräte die Online-Nutzung unterwegs weiter an: Sie hat sich 2014 im Vergleich zu 2012 mehr als verdoppelt. Dies sind einige Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2014 (Eimeren / Frees 2014). Gleichzeitig haben TV- und Radio-Inhalte im Internet noch nie so viele Nutzer erreicht (ebenda).

Nach der JIM-Studie (Jugend, Information, Multi-Media), die der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest jährlich veröffentlicht, waren 2014 Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren im Durchschnitt 192 Minuten am Tag online, mehr als eine Stunde länger als noch 2012 (JIM Studie 2012/2014). Der Hauptgrund: die rasant steigende Verbreitung der Smartphones, die dazu führt, dass schon die 14- bis 15-Jährigen täglich 211 Minuten im Netz sind (ebd.).

Auch das Kommunikationsverhalten ändert sich – zumindest mit Blick auf jüngere Zielgruppen. Lt. einer jüngst veröffentlichten Studie in Großbritannien halten Kinder heute überwiegend per SMS oder über die sozialen Netzwerken Kontakt zueinander. „Nur noch 3 Prozent der gesamten Kommunikation von heute Zwölf- bis Fünfzehnjährigen findet noch über echte Telefonanrufe statt“ (FAZ.net 2014). Eine BITKOM-Befragung bestätigt diese Aussage: Danach sind Kurznachrichten für 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von 10 bis 18 Jahren der am häufigsten genutzte Weg, um sich mit ihren Freunden auszutauschen. Darauf folgen mit 66 Prozent persönliche Gespräche (BITKOM 2014c).

Die Veränderungen im Kommunikationsverhalten geben immer wieder Anlass zur Kritik (Screenshot von http://spleen24.tumblr.com/ am 4.2.2014)

Die Veränderungen im Kommunikationsverhalten geben immer wieder Anlass zur Kritik (Screenshot von http://spleen24.tumblr.com/ am 4.2.2014)

“the cloud begins with coal”

Nun will niemand in Frage stellen: Die mediale Durchdringung unseres Alltags – ob in der Freizeit, am Arbeitsplatz, in der Ausbildung oder Schule – eröffnet enorme Möglichkeiten der Kommunikation und Informationsübermittlung über alle Grenzen hinweg. Aber doch wird uns immer schmerzhafter bewusst: Die digitale Gesellschaft hat auch ihren (ökologischen) Preis. Der medial verursachte Ressourcenverbrauch wächst unaufhörlich:

Die Aufrechterhaltung der weltweiten Informations- und Kommunikationsnetze verursacht bereits zehn Prozent des globalen Energieverbrauchs (Digital Power Group 2013, S. 35). Allein die Datenzentren von Google verbrauchen 300 Millionen und die von Facebook um die 60 Millionen Watt Energie pro Jahr, berichtet die New York Times (vom 22.9.2012). “It’s staggering for most people, even people in the industry, to understand the numbers, the sheer size of these systems,” erklärt Peter Gross, der Hunderte von Datenzentren (in Übersee) entworfen hat, gegenüber der NY Times (ebenda). Um die Dimensionen klar zu machen: “A single data center can take more power than a medium-size town”, so Gross weiter.

Und dieser Energiehunger dürfte in Zukunft sogar noch erheblich wachsen – man denke hier nur einmal an aktuelle Trends wie das „Cloud Computing“, die buchstäblich „wolkige“ Umschreibung für die zunehmende Auslagerung von vormals stationären Anwendungen ins Netz – von Unternehmen ebenso wie von Privatleuten. Sie läuft auf einen exorbitanten Anstieg des Datentransfers hinaus und damit auf einen Anstieg des vielfach fossilen Rohstoffverbrauchs. Oder wie die Digital Power Group (2013) es auf den Punkt bringt: „The cloud begins with coal“.

Aber auch vor der Etablierung dezentraler Rechnerinfrastrukturen war der Datentransfer bereits enorm: Allein 2010 wurden mehr Daten über das Internet transportiert als in der gesamten Geschichte des Internets zuvor (Behrendt 2012, S. 28). Schuld daran ist nicht nur die Industrie. Die Infrastruktur des Netzes – Stichwort Breitbandverbindungen – ist mittlerweile so leistungsfähig, dass selbst Privatmenschen problemlos auch größere Datenmengen versenden können, Bilder und Videos einfach an private Mails angehängt werden, ohne lange Wartezeiten beim Empfänger zu verursachen. Ein weiterer Trend: Bewegtbilder werden zunehmend über das Netz konsumiert, Streaming hat sich dafür als Fachbegriff etabliert. Gestreamt werden aber nicht nur Bewegtbilder; auch Musik und Texte „strömen“ immer öfter auf den Konsumenten ein (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 25. August 2014). Sie werden zur Selbstverständlichkeit in der mobilen und ebenso digitalen Gesellschaft: “That’s what’s driving that massive growth — the end-user expectation of anything, anytime, anywhere,” sagt David Cappuccio, Forschungsleiter bei der Technologieforschungsfirma Gartner (gegenüber der New York Times vom 22.9.2012). Und diese Erwartungshaltung kulminiert eben: “We’re what’s causing the problem.” Damit erhöht sich automatisch der medienverursachte Ausstoß an Treibhausgasen, der in Deutschland schon das Niveau des Flugverkehrs erreicht hat (Behrendt 2012, S. 20).

Vorangetrieben durch häufige Modellwechsel, sinkende Nutzungsdauer und teils vorab begrenzte Lebensdauer („geplante Obsoleszenz“, vgl. Welzer 2013, S. 211 ff) steigt die Produktion von Elektrogeräten in den letzten Jahren zudem kontinuierlich an. Der daraus entstehende Elektroschrott ist mittlerweile zu einem internationalen Problem geworden – oftmals ein zweifelhafter „Exportschlager“ in die Dritte Welt. Mensch und Umwelt tragen die Kosten. Dabei ist der Ressourcenverbrauch bereits bei der Herstellung enorm: Rund 1.500 Liter Wasser sind notwendig, um einen PC herzustellen. 23 Kilogramm unterschiedlicher Chemikalien finden bei der Produktion Verwendung (Behrendt 2012, S. 21) sowie zahlreiche Edelmetalle – ein wahrer Rohstoffschatz. In einem Smartphone stecken rund sechzig verschiedene Rohstoffe, darunter Edelmetalle wie Gold und Kupfer. Die „Seltenen Erden“ kommen hinzu, die allerdings gar nicht so selten sind, sondern künstlich verknappt werden – China kontrolliert 90 Prozent des weltweiten Angebots.

Gleichzeitig liegen in deutschen Schubladen, in Kellern oder auf Speichern rund 106 Millionen Alt-Geräte. Das ist rund ein Viertel (24 Prozent) mehr als noch vor einem Jahr, als 85,5 Millionen ausgediente Handys errechnet wurden. Gegenüber dem Jahr 2010 mit 72 Millionen Alt-Geräten beträgt das Plus sogar 47 Prozent, so eine Studie des Branchenverbands BITKOM (2014a). Der „Schrottberg“, der eigentlich ein „Rohstoffberg“ ist, wächst also.

Abseits des Ressourcenverbrauchs hält die Diskussion um mögliche Gesundheitsgefahren, die aus der Allgegenwart elektromagnetischer Felder – eine Voraussetzung für die mobile Nutzung – herrühren, an (vgl. Gräßer, Hagedorn 2013, S. 121). Weniger nachhaltige Schädigungen kommen hinzu: „Handy-Nacken, iPhone-Schulter, WhatsAppitis – was sich lustig anhört, kann höllisch schmerzen. Ärzte warnen vor den gesundheitlichen Folgen der Dauernutzung von Smartphone und Tablet“, berichtet der SPIEGEL (2014).

Psychische und soziale Ressourcen

Das gilt ebenfalls für die sozialen und psychische Kostenfaktoren: Die permanente Erreichbarkeit führt bei vielen zu Stress, das Informationsangebot zu Überforderungen: Mehr als jeder Zehnte (14 Prozent) der Internetnutzer in Deutschland empfindet die durch das Internet ausgelöste Informationsflut als belastend. Das hat eine weitere Studie im Auftrag des BITKOM (2014b) ergeben. Dabei leiden jüngere Nutzer im Alter von 14 bis 29 Jahren mit einem Anteil von 19 Prozent am stärksten unter der zunehmenden Menge digitaler Informationen, was mit Blick auf die hohe Nutzungsintensität in dieser Zielgruppe auch wenig überrascht. Am geringsten ausgeprägt ist dieses Gefühl – dementsprechend – bei den 30- bis 49-Jährigen mit einem Anteil von 12 Prozent. Verpassensängste, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwächen kommen oftmals hinzu.

Bestätigung finden diese Zahlen auch von der JIM Studie 2014, welche die Mediennutzung der Zwölf- bis 19-Jährigen unter die Lupe nimmt – unter anderem mit Blick auf Smartphones: Demnach nimmt das Lesen, Beantworten und Verwalten aller eingehenden Nachrichten immer mehr Zeit in Anspruch, Handypausen sind selten und müssen bewusst gestaltet werden. So wird die zunehmende Informationsflut und ständige Erreichbarkeit als problematisch wahrgenommen: 64 Prozent der zwölf- bis 19-jährigen Smartphone- und Handybesitzer stimmen der Aussage voll und ganz bzw. teilweise zu, dass sie zu viel Zeit mit dem Handy/Smartphone verbringen. Und mehr als die Hälfte der Jugendlichen ist manchmal genervt von der Fülle eingehender Nachrichten. Trotzdem befürchtet jeder Vierte, etwas zu verpassen, wenn das Handy/Smartphone ausgeschaltet ist (ebenda).

Und eine qualitativ-psychologische Grundlagenstudie zu „Mediennutzung 2024“ des Kölner Rheingold Instituts (im Auftrag der WDR mediagroup) kommt zu dem Ergebnis: „Eine starke Tendenz besteht darin, die Ausbreitung der Medien im eigenen Leben zu begrenzen. Das führt zum einen dazu, dass neuen Entwicklungen misstrauisch, fast abwehrend begegnet wird. Zum anderen setzen Verbraucher der Ausbreitung der Medien mehr oder weniger bewusst individuelle Grenzen: kein Smartphone, kein Facebook, Smart-TV nicht anschließen, das Fernsehen abschaffen oder nur noch VoD, weiterhin Bücher oder den Videotext lesen, zeitliche Begrenzungen etc.“(WDR mediagroup 2014, S. 3). Zeichnet sich hier eine Zeitenwende ab?

Heftig diskutiert wurden und werden im deutschsprachigen Raum kritische Stimmen, wie zum Beispiel die der MIT-Professorin Sherry Turkle. Sie verweist auf die qualitativen Veränderungen im sozialen Miteinander:

„Wir erlauben dem Internet sowie den modernen Technologien in unsere Privat- und Intimsphäre vorzudringen – und zwar zu hohen Kosten. Unser Leben ‚online’ verführt zu einer oberflächlicheren, emotionell fauleren Art von Beziehungen. Diese Schein-Bindungen suggerieren uns, sie seien mit niedrigem Risiko und Aufwand verbunden – und wirken dadurch attraktiv auf uns. Auch wecken sie den Eindruck, man könnte stets auf sie zugreifen. Wir erliegen der Illusion, dass wir durch die neuen Technologien miteinander verbunden sind, ohne uns den bisweilen mühevollen Herausforderungen von Intimität und Kommunikation stellen zu müssen. Wir sind außerdem häufig so beschäftigt mit der Pflege der oberflächlichen Bekanntschaften, dass wir den Aufbau tiefer Bindungen beiseite lassen. Wir sind zu flatterhaft, um uns tiefergehend mit anderen auseinanderzusetzen und auf sie einzugehen.“ (Turkle 2012, S. 33).

Während die These von der Vereinsamung als eine Konsequenz empirisch nicht bestätigt wird (vgl. Appel/Schreiner 2013, S. 10 ff), regt die These von der Verflachung sozialer Beziehungen als weitere Konsequenz unter der Etikettierung „Verdinglichung von Selbst- und Sozialbeziehungen“ (Reißmann 2014) nach wie vor zu Fragen an, wie etwa: „Sind aktuelle Medienumgebungen Katalysatoren instrumentellen Handelns und Denkens?“ (ebenda)

Nun gibt es hier sicherlich keine Automatismen im Verhältnis von kommerzialisierten Medienumgebungen, wie sie etwa die populären sozialen Online-Netzwerke darstellen, und ökonomisierten Handlungs- und Denkmustern. Auch lassen sich zahlreiche Beispiele dafür finden, wie mit Hilfe sozialer Online-Netzwerke unter repressiven gesellschaftlichen Bedingungen öffentliche Aufmerksamkeit, verständigungsorientierte Interaktion und politischer Widerstand erreicht werden kann (Reißmann 2014, S. 13; siehe auch Gräßer/Hagedorn 2012b). Aber auch gegenteilige Effekte erscheinen plausibel. Verflachung als Verdinglichung meint hier zweierlei: Charakteristisch für vernetzte Medienumgeben wie bspw. facebook ist zweifelsohne die „Aufmerksamkeitsknappheit“ (Reißmann 2014, S. 14) oder restriktive Aufmerksamkeits-Ökonomie; User benehmen sich hier wie Marktakteure in einem kommerzialisierten Umfeld, die permanent um Aufmerksamkeit ringen und/oder dazu getrieben werden. Es stellt sich die Frage, welchen Anteil die User daran haben oder „ob wir nicht mit ökonomischen Orientierungen zu tun haben, die aktuellen Medienumgebungen generell inhärent sind“ (ebenda) und als solche auf deren User einwirken. Werden diese Denkmuster instrumentellen Handelns prägend, andere nur noch als weitere Marktteilnehmer identifiziert, wird das soziale Miteinander systematisch untergraben, so dass Gefahrenszenario. Andere erscheinen mehr oder weniger als verdinglichte Objekte.

Hinzu kommt, dass das „quantitativ-numerisches Feedback zu einem omnipräsenten Alltagsbegleiter geworden ist“ (ebenda), was sich illustrieren lässt an den Freundesstatistiken und Formen sozialer Anerkennung (Häufigkeit von Kommentaren, Teilen von Inhalten usw.) in sozialen Online-Netzwerken. Alles findet hier seinen Ausdruck in Zahlen. Korrespondierend etabliert sich zudem die Praxis, dass Menschen nicht nur permanent digital erfasst werden – wie in den sozialen Online-Netzwerken üblich -, sondern sich auch selbst erfassen (wollen), um diese Daten für sich auszuwerten. Sie wollen ein klareres Bild von sich gewinnen, auch und gerade im Vergleich zu anderen: In der „Quantified Self“-Bewegung werden im Freizeitbereich die Vitalfunktionen insbesondere bei sportlichen Aktivitäten erhoben (und quantifiziert), Aktiv- und Schlafphasen sowie eigene Gesundheitsdaten systematisch bemessen und anderes mehr. Möglich wird das durch die vielfältigen Applikationen, die für Smartphones in großer Zahl und oftmals kostenfrei bereit stehen. Die Ergebnisse werden dann in vielen Fällen wiederum veröffentlicht, vor allem in sozialen Online-Netzwerken – wir bewegen uns buchstäblich in vernetzten Medienumgebungen.

„Vor diesem Hintergrund lässt sich eine zweite Lesart der Verdinglichung ableiten. Wir nehmen uns selbst und andere als optimier- und einsetzbare Objekte und Größen wahr und behandeln andere und uns selbst auch so. Sicht- und messbare Erfolge sind die relevanten Kriterien, nach dem Handeln in sämtlichen Lebensbereichen beurteilt wird.“ (ebenda)

Die um sich greifende – digitale – Verdinglichung erscheint total. Vor diesem Hintergrund wird für eine kritische(re) Kommunikationswissenschaft plädiert (und die Medienpädagogik innerhalb eines solchen Unterfangens als wichtige Instanz verortet).

Kurz zusammengefasst: Die Medialisierung unseres Alltags – ob in der Freizeit, am Arbeitsplatz oder in der (Aus)Bildung – hat ihren Preis; der medial verursachte Ressourcenverbrauch wächst immer weiter. Prekär ist aber nicht nur die Entwicklung auf der materiellen Ebene, auch in psycho-sozialer Hinsicht zeigen sich problematische Entwicklungen, die sich äußern in Stress und Schlafproblemen, Verpassensängsten, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwächen, in Veränderungen im Denken sowie im sozialen Miteinander. Nicht nur die Kommunikation leidet qualitativ, ökonomische Denkmuster verbreiten sich ebenso wie die Auffassung, alles sei nicht nur mess- und manipulierbar, sondern auch optimierbar.

Transformationen

Welche Reaktionen zeitigen die angeführten Entwicklungen? In der digitalen Gesellschaft tritt dem „Data-Mining“ (wörtlich übersetzt „Datenbergbau“), verstanden als gezieltes Aufspüren und Kombinieren von Daten, um neue, bisher unbekannte Informationen zu finden, das „Urban-Mining“ (wörtlich übersetzt „Urbaner Bergbau“ oder „Bergbau im städtischen Bereich“) hinzu. In Zeiten zunehmender Ressourcenknappheit sind dicht besiedelte Städte als riesige „Rohstoffminen“ anzusehen, man denke hier etwa an die Rückgewinnung der „Metallvorkommen“ auf städtischen Entsorgungseinrichtungen, die längst zu „Wertstoffhöfen“ geworden sind. Eine regelrechte „Kreislaufwirtschaft“ ist entstanden.

Zur Ressourcenschonung und größeren Energieeffizienz sucht die Industrie unter dem Etikett „Green IT“ bereits nach Lösungen. Ansätze für die gemeinsame Nutzung von Infrastrukturen entwickeln sich, die aktuell sicher noch keinen relevanten Beitrag zur Ressourcenschonung leisten können, aber möglicherweise Lösungswege aufzeigen, die zukünftig noch wichtig(er) werden könnten. So ist in Köln das „Open-Device-Lab“ gestartet: Geteilte Geräteparks mit zumeist internetfähigen mobilen Endgeräten entlasten Entwickler und Firmen von der Anschaffung, so dass diese nicht jedes Gerät selbst anschaffen müssen, berichtet der Kölner Stadtanzeiger (2013).

Erste Unternehmen untersagen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den E-Mail-Abruf in der Freizeit, andere geben ihnen Hilfestellungen für die individuelle Nutzung von sozialen Online-Netzwerken. Auf Basis des “Interaktionsmodell Digitaler Arbeitsschutz” hat das Bonner Slow Media Institut in Kooperation mit dem TÜV Rheinland einen Standard zum Digitalen Arbeitsschutz für die Berufswelt entwickelt, der klare Richtlinien für den konstruktiven Umgang mit digitalen Medien im Arbeitsumfeld definiert und so Rahmenbedingungen für ein kooperatives mediales Klima und ein respektvolles, ressourcenschonendes Leistungsumfeld in digitalen Zeiten schafft (Slow Media Institut 2014). Im Rahmen eines Audits nach diesem Standard können die Unternehmen im Kontext des Siegels “Ausgezeichneter Arbeitgeber” die Zertifizierung zum „Digitalen Arbeitsschutz“ erwerben. Der Standard wird kontinuierlich aktuellen Forschungsergebnissen angepasst und etabliert digitalen Arbeitsschutz als nachhaltigen Prozess im Unternehmen.

Aber auch in den privaten Haushalten findet ein Umdenken im Umgang mit Medien statt, das teils ökonomisch, teils ökologisch oder sozialpsychologisch motiviert ist. Anders formuliert: Formen nachhaltiger Mediennutzung geraten zunehmend in den Blick, um den medialen An- und auch Überforderungen zu begegnen und einen zuträglichen Umgang mit Medien zu entfalten.

Zum einen finden sich auch im privaten Bereich Ansätze für die gemeinsame Nutzung von Infrastrukturen. Die Mitglieder der Initiative Freifunk etwa richten seit rund zehn Jahren offene W-Lan-Netze ein und verbinden diese miteinander. Aus einem kleinen Funknetzwerk ist so ein großes Freifunknetzwerk entstanden, kostenlos für die Mitglieder, sieht man von den Betriebskosten des eigenen Netzwerks einmal ab (Gräßer 2013). Zum anderen formieren sich aufgebrachte Konsumenten gegen die in vielen Fällen planmäßig begrenzte Lebensdauer vieler Medienprodukte (siehe etwa murks-nein-danke.de), offene Werkstätten und Repair Cafés haben sich zu einer Art Bürgerbewegung entwickelt, die das Reparieren (statt Wegwerfen, das Basteln und die “Projektemacherei” wieder) kultivieren wollen. Fast 120 Repair-Cafes listet die Website repaircafe.org (2014) inzwischen in Deutschland auf. Resilienzgemeinschaften entstehen, die sich der Marktlogik entziehen. „Resilienz bedeutet: Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen und Bedrohungen“ (Welzer 2013, S. 188).

Bild: Medienfreie Zeit als „digitale Entgiftung“? „digital detox camp“ in den USA, Bildquelle: davitydave/flickr (CC BY 2.0); http://www.flickr.com/photos/dlytle/9490350151/in/photostream/

Bild: Medienfreie Zeit als „digitale Entgiftung“? „digital detox camp“ in den USA, Bildquelle: davitydave/flickr (CC BY 2.0); http://www.flickr.com/photos/dlytle/9490350151/in/photostream/

Doch es geht nicht nur um eine Ressourcen – und den eigenen Geldbeutel – schonende Nutzungspraxis, auch das private Medienverhalten wird problematisiert. Immer häufiger ist vom „Handyfasten“ die Rede, wollen Menschen die medienvermittelte Kommunikation zumindest zeitweise einstellen. Ein Hamburger Institut für Jugendkulturforschung will herausgefunden haben, dass sich unter Jugendlichen mittlerweile eine „Avantgarde von digitalen Aussteigern“ formiert, die als bewusste Gegenbewegung zum digital geprägten Mainstream alles Analoge wie persönliche Freundschaften, Naturerlebnisse, Handwerkerarbeiten und selber Kochen, wieder in den Lebensmittelpunkt rückt. Ihre Facebook-Freundesliste bereinigen sie von allen Leuten, die nicht ihre wirklichen Freunde sind. Vor allem bildungsnahe Milieus werden als soziale Herkunft ausgemacht, berichtet der Kölner Stadtanzeiger (2014).

Die Qualität zwischenmenschlicher Kommunikation gerät in den Blick: Wann wollen wir für wen erreichbar sein und wie? Was ist uns zuträglich, was nicht? Bei Überlegungen wie diesen geht es nicht darum, mediale Entwicklungen aufzuhalten oder gar zurück zu drehen – das ist weder machbar noch sinnvoll. Es geht darum, ihre ökologischen und sozialen Effekte zu hinterfragen, ggf. Alternativen zu formulieren und diese umzusetzen. Mit andern Worten: Immer häufiger geht es um die Qualität des Miteinanders in der digitalen Gesellschaft. Das mündet in eine Transformation oder zumindest Erweiterung des Medienkompetenzbegriffs, der die drei Prinzipien nachhaltigen Konsums, nämlich „reduce, reuse und recycle“, auch auf die Produktion, Distribution und Nutzung elektronischer Medien bezieht. Dabei gilt es, ein ganzheitliches Verständnis von Medien – im Sinne einer Medienökologie – zu entwickeln. Bereits Postman (1992, S. 26) hat dies seinerzeit verdeutlicht:

„Technologischer Wandel ist weder additiv noch subtraktiv. Er ist ökologisch. Ich benutze das Wort ‚ökologisch’ im gleichen Sinne wie die Umweltforscher. Eine einzige bedeutsame Veränderung zieht eine vollständige Veränderung nach sich. Wenn man aus einem bestimmten Lebensraum die Raupen entfernt, dann hat man nachher nicht den Lebensraum, abzüglich der Raupen; man hat einen anderen Lebensraum, in dem sich die Überlebensbedingungen neu formiert haben; das gleiche gilt, wenn man Raupen in eine Umgebung bringt, in der es bisher keine gab. Genauso funktioniert auch die Medienökologie. Eine neue Technologie fügt nichts hinzu und zieht nichts ab. Sie verändert vielmehr alles“.

Neue Technologien verändern also „alles“, weshalb letztlich nur eine „ganzheitliche“, ökologische Perspektive einer nachhaltigen Mediennutzung gerecht wird, die traditionelle Zugänge überwindet: Denn die „klassische“ Medienbildung vernachlässigt zumeist die materielle Ebene medial vermittelter Kommunikation, also die Ressourcenfrage. Stets geht es um Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung (Baacke 1998), jeweils orientiert am aktuellen Stand der Medientechnologie. Mal wird der Schwerpunkt auf die problematischen Aspekte medienvermittelter Kommunikation – Angriffe auf Persönlichkeitsrechte, Datenschutz, Cybermobbing usw. – gelegt, mal auf die eher willkommenen – neue Entfaltungsmöglichkeiten, Selbstwirksamkeit und Partizipation, Vernetzung über Grenzen hinweg usw.. Qualitative Aspekte geraten aber erst langsam (wieder) in den Blick (vgl. Reißmann 2014, S. 15 f.), während sie schon einmal eine wichtige Rolle gespielt haben (vgl. Schicha 2012).

Zeit für eine Renaissance?

Wie eingangs schon erwähnt: Und in der Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie in der Umweltkommunikation werden Medien vor allem als Instrument zur Vermittlung von Themen – in der Regel rund um Ressourcenverbrauch, Gesundheitsgefährdungen, Menschenrechtsverletzungen bei Produktion und/oder Wiederverwertung – und zum inhaltlichen Austausch angesehen, häufig angereichert um kulturkritische Aspekte – Medien als Vermittler einer mehr oder weniger konstruierten Realität, die authentische Naturerfahrungen nicht ersetzen können, sondern im Gegenteil sogar oftmals behindern (vgl. Brämer 2012). Andere qualitative Aspekte spielen hier keine Rolle.

Beide Perspektiven auf Medien haben zweifelsohne ihre Berechtigung und bieten der Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie der Umwelt- und Medienbildungsarbeit konstruktive Ansätze. Für ein umfassendes Verständnis von nachhaltiger Mediennutzung und ihrer Einbindung in die Bildungsarbeit sollten die jeweiligen Perspektiven aber miteinander verknüpft und zu neuen Gestaltungsperspektiven weiterentwickelt werden, die den „blinden Fleck“ des eigenen ökologischen Fußabdrucks ebenso wie qualitative Aspekte der Kommunikation und des Miteinanders in der digitalen Gesellschaft umfasst.


Fazit

Die mediale Durchdringung unseres Alltags verursacht nicht nur einen wachsenden Ressourcenverbrauch, auch auf der inhaltlich-qualitativen Ebene zwischenmenschlicher Beziehungen und individueller Befindlichkeiten zeigen sich problematische Entwicklungen, weshalb Formen nachhaltiger Mediennutzung zunehmend in den Blick zu nehmen sind.

Hierbei geht es nicht darum, mediale Entwicklungen aufzuhalten, die ja auch immer Potenziale für neue Kommunikationsformen, Realitätserfahrungen und Partizipationschancen (vgl. Gräßer/Hagedorn 2012b) eröffnen. Diese müssen jedoch auf Basis eines selbstbestimmten und reflektierten Medienhandelns erschlossen werden, das auch seine Konsequenzen erkennt und entsprechend berücksichtigt.

Nachhaltige Mediennutzung zielt somit auf eine Transformation des Medienkompetenzbegriffs im Sinne einer Medienökologie und auf eine Erweiterung der kultur- und ressourcenkritischen Medienbetrachtung in der Umweltbildung. In diesem Verständnis gilt es, bestehende Ansätze zur Verbindung von Medien und Nachhaltigkeit weiter zu entwickeln, um ein dem Menschen zuträgliches Medienhandeln zu fördern.

Neue Herausforderungen erfordern neue Konzepte.

Lars Gräßer (Grimme-Institut)

Lars Gräßer, geb. 1969, ist wiss. Mitarbeiter am Grimme-Institut. Er studierte an der Universität Essen Kommunikationswissenschaft, Politologie und Philosophie. Während des Studiums war er im Eventbereich tätig, sammelte journalistische Erfahrungen und war in der Unternehmenskommunikation beschäftigt. 2002 kam er zum Europäischen Zentrum für Medienkompetenz (ecmc), welches 2010 mit dem Grimme-Institut fusionierte. Hier war er zunächst im Bereich Medienbildung/Medienkompetenz aktiv, 2014 sind der Grimme Online Award sowie die Grimme-Akademie als Betätigungsfeld hinzugekommen.


Friedrich Hagedorn (Grimme Institut)

Friedrich Hagedorn leitet im Grimme-Institut das Referat Medienbildung, in dem sich Projekte und Angebote versammeln, die auf eine kompetente Mediennutzung zielen und sich an unterschiedliche Adressaten aus Bildung, Kultur, Medien, Wissenschaft, Politik und Organisationen der Zivilgesellschaft richten. Er entwickelte und verantwortet den Grimme Online Award. Friedrich Hagedorn vertritt das Institut beim „Runden Tisch“ der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Er hat verschiedene Projekte zur Nachhaltigkeits- und Umweltkommunikation betreut dazu zahlreiche Beiträge publiziert. Fachliche Schwerpunkte sind: (Weiter-) Bildung und Online-Kommunikation, Vermittlung von Medienkompetenz, neue Formen der medialen Wissensvermittlung, Nachhaltigkeitskommunikation.

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1 Kommentar

  1. Hallo Friedrich, hallo Herr Gräßer,

    ich kenne es selbst als beruflicher Onliner nur zu gut. Wenn man nicht aufpasst, dann zemürbt einen die grenzenlose Reizüberflutung. Man muss sich gute Gewohnheiten angewöhnen, wofür es ja sogar bereits die Detox Camps gibt, in denen nichts digitales mehr greifbar ist. Ulrike Stöckle macht da offenbar gute Sachen, auch wenn wir uns leider noch nicht persönlich kennen (http://www.nachhaltig-kommunizieren.com).

    Der Stromdurst ist in der Tat imens. Green IT ist nur ein Gegenrezept um das starke Wachstum des Datenstromes abzufedern. Vom Senken des absoluten Bedarfs ist noch keine Rede. Von Erneuerbaren noch weniger. Daher hin im folgenden Artikel (hoffentlich) gute Anwendertipps: http://blog.sustainment.de/?p=3294

    Herzliche Grüße
    Kilian

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