Lässt sich Nachhaltigkeit mit Videos lernen?

Lässt sich Nachhaltigkeit mit Videos lernen? –
Konzept und Erfahrungen der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit

Von Nadine Dembski

Einleitung

Jedes Jahr beginnen in Deutschland 500.000 junge Menschen ein Studium an den ca. 400 Hochschulen des Landes. Studierende aller Fachrichtungen sollen in Lehrveranstaltungen lernen, eine nachhaltigere Gesellschaft mitzugestalten. So lautet ein Ziel der UN-Dekade für Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). In einer gemeinsamen Erklärung haben die Hochschulrektorenkonferenz und die Deutsche UNESCO Kommission die Hochschulen noch einmal aufgefordert, sich aktiv für eine Integration des Nachhaltigkeitsthemas in Forschung und Lehre einzusetzen. Hierzu findet neben Seminaren und Vorlesungen an den jeweiligen Hochschulen, zunehmend auch das Lernen mit Videos statt. Zur Grundlagenvermittlung von BNE lassen sich Lernvideos mit all den resultierenden Vorteilen auch im Hochschulkontext nutzen.
Viele Hochschulen bieten schon länger Live-Aufzeichnungen von Präsenzveranstaltungen an, die den Studierenden zur Nachbereitung oder zur intensiven Prüfungsvorbereitung dienen. Mit gezielt in einem Studio produzierten, aufbereiteten und didaktischen gestalteten Lernvideos lassen sich für Studierende und Hochschulen weitere positive Impulse für den selbstbestimmten Lernprozess erschließen. Die Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit an der Universität Bremen verfolgt seit 2011 dieses Ziel: Bildung für Nachhaltige Entwicklung mit hochwertigen Lernvideos Studierenden und Interessierten freizugänglich bereitzustellen und eine Anerkennung an den Hochschulen zu ermöglichen.

Lernen mit videobasierten Lehrveranstaltungen

Die Konzeption und Umsetzung guter videogestützter Lehre ist eine medien- und hochschuldidaktische Herausforderung. Erfahrungen zeigen, dass an eLearning-Arrangements größere Anforderungen bezüglich der Sicherung des Lernerfolges gestellt werden, als an präsenzorientierte Lehr-Lern-Arrangements. Das Lernen mit digitalen Medien ist als pädagogische, technologiebasierte Innovation zu verstehen, in der computerunterstützte Technologien mit neuen didaktischen Möglichkeiten zum Einsatz kommen (vgl. Seufert & Euler, 2005). Die große Beliebtheit von Online-Videoplattformen und die Beliebtheit bei den 14 bis 19 Jährigen wurden belegt (vgl. ARD/ZDF-Studie). Das Thema Lernen mit Videos ist auch im Bildungskontext angekommen, vielfältige Veröffentlichungen und Untersuchungen bestätigen den rasanten Zuwachs der Nutzung von Lernvideos im Bildungskontext (vgl. z.B. „Video Use and Higher Education: Options for the Future”, 2009). Auf der Ebene der Rezeption führt das Anschauen von Videos zu „Lernen am Modell“ und vertiefend zu „Lernen durch Reflexion“ (vgl. Rummler & Wolf, 2012). Beim „Lernen am Modell“ kann das Lernen anhand von Videos als ein Prozess des Nachahmens verstanden werden. Eine weitere, für den Hochschulraum bedeutende Qualität, ermöglicht das Lernen mit Videos durch das angeleitete Reflektieren und Analysieren der dargebotenen Lerninhalte. Hier ist vertiefendes Lernen auf Hochschulniveau möglich, denn über reine Instruktionen wie in Erklärvideos (z.B. „Wie binde ich einen Krawattenknoten?“) können komplexe Inhalte didaktisch aufbereitet, dargestellt, erläutert und für die Lernenden angeleitet werden.

Es gibt zahlreiche mediendidaktische Vorschläge, wie eLearning zu gestalten ist. In der Praxis werden Lernvideos als Format des Distance-Learning im Hochschulkontext oft noch als nicht sehr effektiv eingesetzt. Vielfach klingt hier die Angst durch, dass Lehrende durch vermehrten eLearning-Einsatz wegrationalisiert werden könnten. Auch der Vorwurf, dass die Hochschule nicht zu einer Fern-Universität avancieren solle, sei an der Stelle erwähnt.
Unbestreitbar bietet die Erstellung inhaltlich und technologisch anspruchsvoller videobasierter Lehrveranstaltungen Vorteile für Lernende, Lehrende und Hochschulen:

Vorteile für Lernende/ Studierende beim Lernen mit Videos:

  • Wegen der zeitlichen und räumlichen Flexibilität können Studierende die Lehrveranstaltung in geeigneten Freiräumen ihres Studienverlaufs absolvieren.[1] Also „Lerne wann und wo du willst!“.
  • Studierende können sich die Creditpoints für ihr Studium anrechnen lassen.
  • Mit Lernvideos können die Wahlmöglichkeit zu den vor­handenen Präsenzveranstaltungen erweitert werden. Es kann die Präsenzlehre verstärkt für Rückfragen und zur Vertiefung genutzt werden. (Szenarien sind auch bekannt als Flipped Classroom oder inverted Classroom)
  • Mit Lernvideos können Interessierte die Veranstaltungen gezielt wiederholen, nachholen oder vertiefen.
  • Jeder kann mit dem eigenen Lerntempo die Videos durcharbeiten.
  • Durch das Lernen mit Videos wird eine für den lebenslangen Lernprozess notwendige eLearning-Kompetenz erworben.

Lehrende und Hochschulen profitieren von videobasierten Lehrveranstaltungen im Allgemeinen:

  • Videobasierte Lehrveranstaltungen leisten einen sichtbaren Beitrag zum Konzept einer familienfreundlichen Hochschule.
  • Lernvideos schaffen einen deutlichen Beitrag zur internationalen Sichtbarkeit einer
  • Durch das Einbinden von videobasierten Lehrveranstaltung fördern Hochschulen die Flexibilisierung in Bachelorstudiengängen.
  • Lehrende können durch das Einbinden von eigenen Lernvideos ihre Präsenzzeit zur Vertiefung nutzen.
  • Auch können externe Lernvideos einen wertvollen Beitrag zur fachübergreifenden Analyse leisten.
  • Es kann ein effizienter Einsatz von Lehrkapazitäten für z.B. fachübergreifende Themen erfolgen.
  • Lernvideos ermöglichen Studienbewerber/innen einen ersten Einblick in die Hochschullehre.
  • Videobasierte Lehrveranstaltungen unterstützen eine offene Universität im Sinne des lebensbegleitenden Lernens.

[1] An dieser Stelle sei auf die Zeitlaststudie von Schulmeister et al. (2011) verwiesen.

Studierende aller Fachrichtungen sollen im Rahmen ihres Studiums lernen, eine nachhaltigere Gesellschaft mitzugestalten. So lautet das Ziel der UN-Dekade für Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit unterstützt deutschsprachige Hochschulen dabei, das UN-Dekadeziel zu erreichen ?? ist das ein offizielles Hochschulziel?, indem sie mit einem innovativen Lehrkonzept videobasierte Lehrveranstaltungen zum Thema Nachhaltigkeit bereitstellt. Das Angebot kann von allen deutschsprachigen Hochschulen und Lehrenden genutzt werden. Die Lehrveranstaltungen der Akademie sind so konzipiert, dass sie im Wahl- oder Wahlpflichtbereich, für den Bereich des offenen Studiums, Studium Generale oder General Studies an den unterschiedlichen Hochschulen gleichermaßen anerkannt werden können. Studierende aller Studiengänge können mit dem Angebot zeit- und ortunabhängig lernen („Lerne wann und wo du willst!“) und Creditpoints erwerben. Die Lernvideos sind für alle Interessierte frei zugänglich und können mit allen Endgeräten direkt über das Portal der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit genutzt werden.Ziel der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit[1] An dieser Stelle sei auf die Zeitlaststudie von Schulmeister et al. (2011) verwiesen. Da die Erstellung videobasierter Lehrveranstaltungen aufwändig ist, empfiehlt es sich ausgewählte Themenbereiche aufzubereiten, die für viele Lernende und auch über einen längeren Zeitraum nutzbar sind, so dass sich investierte Kosten amortisieren.[1] An dieser Stelle sei auf die Zeitlaststudie von Schulmeister et al. (2011) verwiesen.

Abbildung 1: Portal der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit

Abbildung 1: Portal der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit

Didaktische und technische Umsetzung

Neue Lernformate werden an härteren didaktischen Qualitätsmaßstäben gemessen als bestehende Formate wie beispielsweise die Frontalvorlesung. Im Ansatz des Lernens mit digitalen Medien wird die Möglichkeit gesehen, die Grundprinzipien der Bildung für nachhaltige Entwicklung im Rahmen einer didaktischen Konzeption und der Ableitung eines didaktischen Designs zu konkretisieren. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) fördert das vorgestellte Konzept, in dem das Projekt „Virtuelle Akademie für Hochschulbildung für Nachhaltige Entwicklung“ allen Studierende in Deutschland die Gelegenheit bietet, Lehrveranstaltungen zum Thema Nachhaltigkeit zu belegen, Creditpoints für das Studium zu erwerben und an der jeweiligen Hochschule anerkennen zu lassen. Auf dem Portal der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit (www.va-bne.de) können sich Studierende über das Angebot informieren, sich für Veranstaltungen registrieren und zeit- und ortsunabhängig die Lernvideos durcharbeiten. Eine Lernplattform wird als Unterstützung für den Lernprozess genutzt.
Jede Lehrveranstaltung für drei Creditpoints hat gemäß der Dauer der Vorlesungszeit 14-15 thematische Lerneinheiten á 90 min. Jede Lerneinheit wird in 3 Episoden á 30 Minuten unterteilt. Die Erfahrung zeigt, dass Lernende einem 30 minütigen Video konzentriert folgen können. Jede der Lerneinheit besteht aus zwei Vortragsepisoden und einem Interview, welches für Nachfragen und zur Vertiefung dient.

Abbildung 2: Aufbau der videobasierten Lehrveranstaltungen

Abbildung 2: Aufbau der videobasierten Lehrveranstaltungen

Abbildung 3: Beispiel für eine Vortragsepisode und ein Interview

Abbildung 3: Beispiel für eine Vortragsepisode und ein Interview

Gemäß der neuen Anforderungen der Bachelor- und Mastereinführungen werden nicht nur für die einzelnen Lehrveranstaltungen Lernziele in Form von zu gewinnenden Kompetenzen formuliert, sondern auch Lernziele für jede Vortragsepisode. Die Studierenden haben so die Möglichkeit, den selbstgesteuerten Lernprozess anhand der Ziele auszurichten und sich selbst zu überprüfen, ob sie die Zielfragen der Episoden beantworten können. Mit der Entwicklung strukturierter videobasierter Veranstaltungen können Studierende auch das Lerntempo selbst bestimmen.
Die videobasierten Lehrveranstaltungen (sowohl die Vortragsepisoden, als auch die Interviews) werden in einem Filmstudio aufgezeichnet. Die Aufnahmen erfolgen unter Einsatz des Greenscreen-Verfahrens. Dabei werden die Lehrenden vor einem grünen Hintergrund aufgezeichnet, der später in der Postproduktion mit den Folien oder anderen Materialien überblendet werden kann. Die Überblendung des Greenscreen erfolgt nach dem Keying-Verfahren. Als Keying bezeichnet man das Erzeugen von Transparenz durch einen bestimmten Farb- oder Luminanzwert in einem Bild. Damit ist es möglich, einen Hintergrund komplett durch eine andere Quelle (Video, Animation oder Bild) zu ersetzen.

Möglichkeiten zur Anrechnung auf das Studium

Abbildung 4: Aufnahme vor einem Greenscreen und spätere Einblendung der Folien

Abbildung 4: Aufnahme vor einem Greenscreen und spätere Einblendung der Folien

Um einer großen Anzahl an Studierenden die Möglichkeit zu geben, Creditpoints für die videobasierten Lehrveranstaltungen zu Nachhaltigkeitsthemen zu erwerben, wurden die Erfahrungen der Universität Bremen in der Durchführung von eAssessments (http://www.eassessment.uni-bremen.de/) genutzt und ein Konzept zur Prüfung-on-demand entwickelt: Die Studierenden können einen Prüfungstermin zu einer elektronischen Klausur aus mehreren Terminen an der jeweiligen Heimathochschule frei wählen. Mit ihrem Wunschtermin vermeiden sie Kollisionen mit anderen Prüfungen oder Prüfungsengpässe.

Bei erfolgreicher Teilnahme werden 3 Creditpoints dem Studienkonto gutgeschrieben. So kann der Workload in der vorlesungsfreien Zeit und ganz nach dem individuellen Tagesablauf erbracht werden. Die Betreuung der Studierenden, die das Lernangebot der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit nutzen, erfolgt bedarfsorientiert über eine Lernplattform und per Email. Weitere Lernmaterialien (z.B. Foliensätze, Quizze, Checklisten etc.) werden ebenfalls über die Lernplattform bereitgestellt, so dass Austausch und Rückfragen zeitnah für die Lernenden erfolgen kann. Auch eine gezielte Vorbereitung auf die elektronische Prüfungsform ist mit Hilfe einer Demoprüfung möglich.

Erfahrungen bei der Nutzung

Die Studierenden der sogenannten Y-Generationen gehen souverän mit der Wissensaufnahme durch Lernvideos um. Sie schätzen insbesondere die räumliche und zeitliche Flexibilität und fühlen sich dann in der Durchführung der Module gut betreut, wenn ihre Fragen zeitnah von einem Koordinator beantwortet werden. Dies haben die Evaluierungen der Veranstaltungen immer wieder gezeigt.

Derzeit werden 12 Online-Lehrveranstaltungen (davon 3 englischsprachige) über das Portal der Virtuellen Akademie frei zugänglich angeboten. Die curriculare Einbindung der Lehrveranstaltung an den Hochschulen erfolgt vor allem im Wahlpflicht oder General Studies Bereich. Mehr als 30 Hochschulen nutzen das Angebot und an 18 Hochschulen davon finden regelmäßig im Semester elektronische Prüfungen der Virtuellen Akademie statt, um die Anerkennung der Creditpoints zu ermöglichen.

Die aktuellen Zugriffszahlen auf die Videos im Youtube-Kanal der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit zeigen, dass es einen großen Bedarf an hochwertigen Lernvideos zum Thema Nachhaltigkeit gibt. Da die Lernvideos auf Hochschulniveau nicht nur Studierenden zur Verfügung stehen, sondern für alle Interessierten frei zugänglich sind, werden sie auch in anderen Bildungskontexten genutzt. Dies unterstützt das UN-Dekadeziel, Bildung für eine nachhaltige Entwicklung zu fördern.

Ansätze zur Weiterentwicklung

Vielfältige Weiterentwicklungsmöglichkeiten für den Einsatz videobasierter Lehrveranstaltungen sind denkbar. Die Konzeption abgestimmter Blended Learning Veranstaltungen wird zunehmend nachgefragt. Denn hier lassen sich die Vorteile von Lernvideos und Präsenzphasen kombinieren. Auch die technologische Weiterentwicklung, die den Einsatz interaktiver Elemente ermöglicht, birgt weitere Potentiale in sich. Lernvideos können dadurch beispielsweise bei Bedarf und je nach Lernziel verschiedenste didaktisch gesteuerte Interaktionen integrieren, wie z.B. das gezielte Nachschlagen von Fachtermini oder Hintergrundinformationen, das Starten von Simulationen oder Übungen.

Share

antworten