Nachhaltigkeit in der ,,Big Data Gesellschaft“ – eine metaphorische Annäherung an neue Bildungsherausforderungen
- September 22, 2014
- Konzepte
- noch ohne Kommentar
Von Harald Gapski
Die sich rasant entwickelnde Medientechnik und ihre Anwendungen erfordern stetig neue sprachliche Benennungen. So wundert es nicht, dass neben Wortneuschöpfungen und Eindeutschungen wie „googlen“, „skypen“ und „twittern“ auch alte Begriffe neu besetzt werden, um mithilfe von Metaphern neue und zunächst unvertraute Medienanwendungen im Medium der Sprache vertraut werden zu lassen: Die Rede ist beispielsweise vom „Surfen im Internet“ und aktuell von der „Cloud“. Metaphorische Zu- oder Rückgriffe erfolgen auch auf die „alten Medien“: Nicht nur medial, sondern auch sprachlich lebt das „Buch“ weiter in der Rede von „Netbooks“ und „Bookmarks“ auf „Seiten“ des Webs. Metaphern fassen nach Jo Reichertz „das Unbekannte in die Begriffe des Vertrauten“ – als sprachliche Formen sind sie „Medien des Denkens und Medien des Handelns“ (1). Sie sollen bei der gedanklichen Durchdringung neuer Phänomene Ordnung stiften und zugleich Wege aufzeigen, was sinnvollerweise nun getan werden kann.
Dies kann die Gestaltung von Benutzer-Interfaces betreffen, wenn graphisch-metaphorische Anleihen aus der alten Medienwelt gemacht werden, oder auch die gedankliche Durchdringung und sprachliche Vermittlung gesellschaftlicher Auswirkungen von digitalen Netztechnologien. Um Letzteres geht es im Folgenden. Die seit langem genutzte Metapher des Autofahrens ist Ausgangspunkt für eine Beschreibung der Phänomene unserer Netzwerkgesellschaft. Über die Folgen einer (auto-)mobilen Gesellschaft sollen in zunächst metaphorischer Redeweise Fragen der Nachhaltigkeit gestellt und dann die Herausforderungen für die Bildung angesprochen werden.
(Daten-)Autobahn
Vor zwei Dekaden war die Rede vom Internet als „Datenautobahn“ noch verbreitet. In den USA wurde zu Beginn der 90er Jahre der „Information Superhighway“ mit Blick auf den Ausbau der National Information Infrastructure (NII) der Clinton und Al Gore Regierung vorangetrieben. Die Angemessenheit der Autobahn-Metaphorik für das Internet wurde durchaus kritisch bewertet – so beispielsweise von Hans J. Kleinsteuber (1996): „Politisch verwertete Metaphern wollen das Denken der Menschen in bestimmte Richtungen lenken, wollen dominieren und andere Leitbilder verdrängen. Hinter dem Information Highway steht die Vorstellung, dass wie bei jedem materiellen Transport die Beförderung von Daten mit Kosten verbunden ist. […] Die Highway-Metapher […] hinterläßt […] ein Gefühl von polizeilichem Ordnen, von einschneidenden Verkehrsbestimmungen und einer Überwachung durch die Staatsmacht. “(2) Dieses „Gefühl der Überwachung“ ist heute angesichts der Geheimdiensttätigkeiten, der Vorratsdatenspeicherung und der damit verbundenen Aushöhlung des Fernmeldegeheimnisses (Grundgesetz, Art. 10) hoch aktuell.
Alltagserfahrungen, wie zäh fließender Verkehr, Staus, Schlaglöcher oder hohe Autobahngebühren bzw. Benzinkosten, sorgen für politisch unerwünschte Assoziationen. Ab Mitte der 90er Jahr sinkt die Konjunktur des Begriffs „Datenautobahn“ im deutschsprachigen Raum deutlich ab, so dass bereits Nachrufe auf den Begriff zu finden sind, der anderen metaphorischen Redeweisen weichen musste. (3) „Wer Gurtpflicht sagt, fährt auch noch Datenautobahn.“ Mit diesem Slogan für einen Spendenaufruf der Digitalen Gesellschaft e. V. wird die Antiquiertheit der Metapher betont. (4)
Das Internet als „Datenautobahn“ zu bezeichnen und dabei an breite, ausgebaute Straßen zu denken, verspricht Schnelligkeit in der Bewegung und der Datenübertragung. Schnelligkeit kann Unfallgefahr bedeuten. So warnt die Polizei in Rheinland-Pfalz: „Im Internet surfen ist wie Autofahren – reinsetzen und starten. Doch halt: Auch auf der Datenautobahn besteht Unfallgefahr!“ (5). Auch im Lagebericht zur Internetsicherheit 2007 des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik wird auf den Sicherheitsaspekt beim Autofahren zurückgegriffen: „Das Verhalten der Nutzer muss von Wachsamkeit geprägt sein, sie müssen sich ihrer Eigenverantwortung bewusst sein. Das Installieren von Sicherheitsupdates und Patches sollte in Zukunft ebenso selbstverständlich werden, wie der Griff zum Sicherheitsgurt im Auto.“ (6)
Autofahren und Medien nutzen
Die Metaphorik des Autofahrens lässt sich weiterführen und auch auf den Begriff „Medienkompetenz“ übertragen. So erläuterte Linda Reisch bereits 1998:
„Was Medienkompetenz bedeutet, läßt sich also dank der Autobahn-Metapher auf das beste erläutern. Medienkompetenz in einer automobilen Gesellschaft würde für mich bedeuten: zu wissen, was man tut, wenn man Auto fährt, daß man nämlich innerhalb der Zeit x unter bestimmten Umständen vom Punkt A zum Punkt B gelangen kann, und was es kostet – sowohl meinen Geldbeutel als auch die Gesellschaft und die Umwelt. Medienkompetenz bedeutet, daß ich dieses Medium „Auto“ ordentlich fahren kann, daß ich Verkehrsregeln kenne und beachte, daß ich nicht dauernd mit überhöhter Drehzahl fahre und damit übermäßig viel Kraftstoff verbrenne […] daß ich aber auch weiß, wann ich lieber den Zug, den Bus oder das Fahrrad nehme […] Das ist für mich Medienkompetenz, auf der Daten-Autobahn wie auf der ‚Auto‘-Autobahn. Diese auf Wissen gegründete Kompetenz verlange ich auch von Anbietern und Nutzern in der Informationsgesellschaft. Übersetzt: wie komme ich am schnellsten und intelligentesten an die kompetentesten Informationen. Dies muß gelehrt werden.“ (7)
Die Forderung nach Medienkompetenz wirft sogleich die Frage auf, wie eine solche Kompetenz erlangt und dokumentiert werden kann. Auch in Beantwortung dieser Frage bediente man sich der Metapher des Autofahrens.
(Computer-)Führerscheine
Die Selbsteinschätzung der eigenen Kompetenz ein Auto fahren zu können, ist in einer geregelten automobilen Gesellschaft nicht hinreichend. Der Führerschein soll diese Fähigkeit nach einer erfolgreichen theoretischen und praktischen Prüfung zertifizieren. Unterschiedliche Formate greifen diese metaphorischen Benennungen für den Umgang mit unterschiedlichen Medien auf. Der „Europäische Computerführerschein“ (ECDL) beispielsweise „ist ein in 148 Ländern anerkanntes Zertifikat zum Nachweis von grundlegenden IT-Kenntnissen“ und der „Medienführerschein Bayern“ verfolgt als Portfolio das Ziel die Medienkompetenz von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu stärken und bietet „Unterrichtseinheiten und weiterführende medienpädagogische Projekte von außerschulischen Partnern“ (8). Je enger diese Führerscheine an bestimmte und umgrenzte „Leistungsdispositionen“ im Umgang mit Computer und Internet gebunden sind, desto eher lassen sich Wissen und Fertigkeiten in einer Zertifizierung abbilden. Selbstverständlich sind nicht nur die technischen, sondern auch die inhaltlichen Dimensionen von Kompetenzen im Umgang mit Medien und Informationen Gegenstand vielfältiger Diskussionen. Ein Fahrzeug zu lenken und über die entsprechenden technischen Qualifikationen zu verfügen – um wieder die Metapher des Autofahrens aufzugreifen – ist nur ein Aspekt von Medienkompetenz. Aus medienpädagogischer Sicht und mit Blick auf ein ganzheitliches Verständnis von Medienbildung wird diese Dimension eher gering geschätzt: Es geht um mehr; nämlich beispielsweise um kritische und medienethische Reflexion, Kreativität und Partizipation im Umgang mit Medien.
Kompetenzen und Medien
Während Qualifikationen eng umgrenzte, konkrete Kenntnisse und Fertigkeiten beschreiben, die für die Ausführung einer bestimmten Tätigkeit, etwa für das Autofahren, notwendig sind, bezeichnet der Kompetenzbegriff weitaus mehr. Der im berufsbildenden Diskurs verwendete Kompetenzbegriff als „Dispositionen zur Selbstorganisation“ kann in Übertragung auf den Medienkompetenz-Begriff Wege für eine sinnvolle Ausdehnung aufzeigen. „Kompetenzen werden von Wissen fundiert, durch Werte konstituiert, als Fähigkeiten disponiert, durch Erfahrungen konsolidiert, auf Grund von Willen realisiert.“ (9) Kompetenzen werden in diesem Diskurs als „Selbstorganisationsdispositionen“ verstanden, „also als Anlagen, Bereitschaften, Fähigkeiten, selbst organisiert und kreativ zu handeln, und mit unscharfen oder fehlenden Zielvorstellungen und mit Unbestimmtheit umzugehen, [sie] existieren auf den Ebenen von Einzelnen, Teams, Unternehmen, Organisationen und Regionen“ (10). Überträgt man diese Fassung des Kompetenzbegriffs auf den Medienkompetenzbegriff, erweitert also seine Träger, gewinnt das Konzept, so die These, eine größere gesellschaftliche Nachhaltigkeit. Medienkompetenz sollte aus der subjektiven Engführung herausgelöst werden und auf verschiedenen systemischen Ebenen bzw. als gesamtgesellschaftliche Herausforderung verortet werden. Insofern wäre es durchaus sinnvoll, neben der Medienkompetenz beispielsweise des Schülers oder der des Lehrers auch von der Medienkompetenz eines Organisationssystems, wie einer Schule oder eines Bildungsnetzwerks bzw. einer Bildungslandschaft, ja sogar des Bildungssystems zu sprechen. (11) Gleichzeitig gilt es, gerade die auf Subjektebene verankerten Werte wie kritische Selbstbestimmung und Mündigkeit in einer medialisierten und kommerzialisierten Umwelt zu stärken.
Entgrenzungen und Ausdehnungen
Die enge Fokussierung auf Elternhaus und Schule im Bereich der Förderung von Medienkompetenz ist bereits 1992 von dem Schweizer Medienwissenschaftler Ulrich Saxer kritisiert worden: „Fragen wünschenswerter, ausreichender oder auch defizitärer Medienkompetenz werden fast nur in Mikrokontexten oder in bezug auf Sozialisationsinstanzen wie Elternhaus oder Schule thematisiert, kaum auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Dadurch verliert die diesbezügliche Diskussion wesentliche Aspekte ihres Gegenstandes aus ihrem Gesichtsfeld und wird auch in ihren strategischen Erwägungen kurzsichtig.“ (12) Auch Dieter Baacke betonte, dass das Konzept ‚Medienkompetenz‘ nicht verkürzt werden sollte „auf ‚Fähigkeit‘ oder auch ‚Qualifikation‘, sondern […] in seiner begrifflichen Reichweite ein Stück Demokratie- und Kommunikationstheorie [umgreift]“, und verweist auf einen „Diskurs in der Informationsgesellschaft“ (13).
Die Führerscheinmetapher und die Fahrkompetenz eines Einzelnen am Steuer kommt bei dieser Interpretation der mehreren Ebenen an ihre Grenzen. Diese Grenzen, so soll im Folgenden gezeigt werden, werden auch durch gegenwärtige soziotechnischen Entwicklungstrends erreicht bzw. sind in mancher Hinsicht schon überschritten worden.
Werkzeug oder Medium
Medientheorie und Technikphilosophie sind reich an Begriffskonzepten zur Beschreibung des Verhältnisses zwischen Mensch, Gesellschaft und (Medien-)Technik. Auf zwei Interpretationsperspektiven von Technik soll an dieser Stelle hingewiesen werden: Aus einer Werkzeugperspektive betrachtet, verstärkt Technik bestimmte Leistungen menschlichen Handelns. Ein technisches Fortbewegungsmittel wie ein Auto erreicht höhere Geschwindigkeiten als jeder menschliche Läufer oder kann größere Lasten transportieren.
Aus der Perspektive eines Mediums erzeugt die Technologie in ihrer gesellschaftlichen Einbindung neue Welten. Diese „welterzeugende“ Wirkung geht über eine bloße Verstärkung und Leistungssteigerung hinaus. (14) Übertragen auf das Medium Auto kommen so veränderte und neu erzeugte Lebensräume in den Blick, in denen Straßen, Tiefgaragen, Berufsverkehr, Verkehrsregeln, TÜV-Abnahmen, Autoversicherungen, Abgassonderuntersuchungen und Smog eine Rolle spielen. Auf diese Effekte des Autofahrens bzw. der Mediennutzung weist Linda Reisch in dem obigen Zitat über Medienkompetenz bereits hin. Die mediale Sicht auf Technik ist anschlussfähig an eine systemisch-ökologische Interpretation, denn sie trägt den dynamischen Wechselwirkungsprozessen zwischen gesellschaftlich-kultureller und technologischer Ebene stärker Rechnung als individuelles Werkzeughandeln. Vor dem Hintergrund aktueller soziotechnologischer Vernetzungen – oder mit den Worten von Norbert Bolz: „Menschen sind heute nicht mehr Werkzeugbenutzer, sondern Schaltmomente im Medienverbund” . Was bedeutet dieser „Medienverbund“ (15) im gegenwärtigen Kontext von Big Data, Internet der Dinge und mobiler Vernetzung? Welches sind die informations- und wissensökologischen Konsequenzen nicht zuletzt für unser Menschenbild?
Komplexe adaptive Systeme in Echtzeit
Gegenwärtig verschmilzt die metaphorische Redeweise vom Autofahren und der IT- oder Mediennutzung – Autofahren wird zur IT-Nutzung: „Unsere Autos sind heute schon rollende Rechenzentren mit 1,5 Kilometern Kabeln, mehr als 50 Steuergeräten und der Rechnerleistung von 20 hochmodernen PCs“, betont Martin Winterkorn, Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns (16). Ein modernes Navigationsgerät übermittelt in Echtzeit die aktuellen Standortdaten an einen Zentralrechner. Der Navigationssystemhersteller TomTom etwa versteht die „Kombination von Fahrern und die Art des Straßennetzes in typischen Ballungsgebieten (als) ein komplexes adaptives System“ und bietet über den Dienst HD Traffic dynamische Routenempfehlungen aufgrund der vorliegenden Echtzeitdaten: „je mehr Menschen HD Traffic nutzen, desto genauer werden die Stauinformationen. Das führt dazu, dass der Dienst noch attraktiver wird und deshalb noch mehr Menschen auf ihn vertrauen.“ (17)
Allgemein und nicht nur für diese Anwendung gilt: Vertrauen in technische Systeme, deren interne Prozesse undurchschaubar sind, wird zu einem Nachhaltigkeitsfaktor.
Ein Autofahrer in naher Zukunft weiß möglicherweise das Ziel seiner geplanten Fahrt (ggf. wird auch das automatisch aus dem Cloud-Terminkalender direkt an das Auto übermittelt), den Weg dahin und die Fahrweise wählen selbstständig fahrende Autos. Sie sind Teil eines soziotechnischen Systems, das anhand von Echtzeit-Daten und Prognosen Handlungsentscheidungen prozessiert. Die Netzwerkanalysen aller fahrenden Autos, ihre Bewegungsströme und Bedarfe sind als „soziotelematische Systeme“ in Echtzeit analysier- und steuerbar. Stau- und Abgasvermeidung sind wünschenswerte Ziele, denen neue Herausforderungen im Bereich des Datenschutzes und der Kompetenz im Umgang mit den prozessierten Daten entgegenstehen.
Wenn Autoversicherung ihre Tarife anhand des individuellen Fahrverhaltens, gemessen mithilfe von Sensoren im Auto, erstellen und Risikoverhalten quantifizieren, ja sogar anhand von Datenanalysen prognostizieren, dann verschieben sich bisherige gesellschaftliche Normen. Wenn Big Data Analysen aufgrund von Korrelationen und nicht Ursachenbeziehungen zu dem Entschluss kommen, dass Prämien erhöht, eine Fahrerlaubnis nicht vergeben oder Versicherungsverträge nicht abgeschlossen werden, dann werden Entscheidungskompetenzen an Systeme übergeben, ohne dass Transparenzkriterien erfüllt wären.
Navigationsgeräte, intelligente, telematische Verkehrsleitsysteme, erste vollständig autonomes fahrende Testautos (18) sowie Sensoren, die das Fahrverhalten an die Autoversicherung übermitteln, verweisen auf einen soziotechnischen Wandel mit grundlegenden Auswirkungen. Die Herausforderung in diesen und anderen informatisierten Lebenszusammenhängen wird sein, Systemvertrauen herzustellen; Vertrauen in das Ergebnis algorithmengesteuerter Prozesse, deren Zustandekommen aufgrund der Komplexität immer schwieriger nachzuvollziehen sein wird.
Auch neue digitale Spaltungen können durch die Analyse und Entscheidungsverlagerung auf soziotechnische Systeme hervortreten. Ein Beispiel wiederum aus dem Straßenverkehr kann dies illustrieren: „In Boston, USA, hilft eine App dabei, die Qualität der Straßen zu verbessern. Sie nutzt die Beschleunigungssensoren, die es in jedem Smartphone gibt, und zeichnet bei Fahrten durch die Stadt automatisch jedes Schlagloch auf. Tausende Schlaglöcher wurden schon per App gemeldet und zeitnah ausgebessert. […] Was nach bürgernaher Verwaltung klingt, hatte anfangs einen großen Haken, so John Podesta, Berater von US-Präsident Barack Obama, […]. Die meisten Schlaglöcher seien nämlich in besseren Wohngegenden gemeldet worden – nicht weil die Straßen dort besonders schlecht gewesen seien, sondern weil sich Einkommensschwache oft kein teures Smartphone leisten könnten.“ (19)
Big Data Gesellschaft
Am Beispiel und mithilfe der Metaphorik des Autofahrens konnten einige Folgen des gegenwärtigen gesellschaftlichen Mediatisierungs- und Informatisierungstrends skizziert werden. Das Zusammenspiel von Cloud Computing, mobilen Diensten, Sozialen Netzwerken, „Internet der Dinge“ und „Big Data“ bringt ein gesellschaftliches und kommunikatives Umfeld hervor, in dem das Individuum, seine Souveränität und seine Handlungskompetenz neu verortet und gesellschaftliche Steuerungsoptionen reflektiert werden müssen.
Während das klassische Internet die Personen, Dienste und Computer miteinander vernetzt, weitet das seit einigen Jahren von Industrie und Wirtschaftspolitik geförderte „Internet der Dinge“ diese Vernetzung auf prinzipiell alle Objekte des Alltags aus. Die damit verbundene zunehmende Verbreitung von Funktechniken, intelligenten Produkten und softwarebasierten Geschäftsmodellen tragen dazu bei, dass sich der verfügbare Datenbestand zukünftig alle zwei Jahre verdoppeln wird. Mit der steigenden „Intelligenz“ der Objekte durch die Integration von Prozessoren und Sensoren werden diese „umgebungsintelligent“ („ambient intelligence“) und können (teil-)autonom handeln. Diese vernetzten Objekte passen sich an, treffen Entscheidungen und können Entwicklungen voraussehen. Aus der Beobachterperspektive ist ein zunehmend intelligentes Handeln von Maschinen (Stichwort „Turing Test“) festzustellen. Durch die wachsende Leistungsfähigkeit von Prozessoren und Programmiertechniken erschließen künstliche Intelligenzen immer alltäglichere Intelligenzdomänen: So hat im Jahr 2011 der IBM Computer „Watson“ die langjährigen menschlichen Champions in einer Fernsehquizshow in natürlicher Sprache und Schrift in allgemeinen Wissensfragen besiegt. Das System „Watson“ kommt nun in unterschiedlichen Anwendungsfeldern, beispielsweise im Gesundheitswesen, zum Einsatz.
Kognitive Systeme und Agents werden sich verstärkt in menschliche und alltägliche Entscheidungsprozesse einbringen und quasi-intelligente Leistungen erbringen.
Prognosen sprechen davon, dass jeder Mensch im Jahre 2020 mindestens mit sieben Geräten „connected“ sein wird. Mediennutzende werden in digitale Kommunikations- und Erfahrungswelten tiefer eintauchen. Von der zurückgelehnten Haltung des TV-Konsums („lean back“), über die Interaktion im Web 2.0 („lean forward“) bis hin zu virtuellen Interaktionswelten, die nahtlos mit der Realität überblenden („Augmented Reality“) oder sich von ihr abkoppeln („Virtual Reality“ und „jump in“) – über die Zeit ist ein stetig steigendes Maß an Immersion in digitale Welten festzustellen. Die neuen „Smart-Devices“ nähern sich weiter an den Körper an: von den Brillen-Interfaces („Google Glasses“ oder „Oculus Rift“), über intelligente Kleidung auf der Haut bis hin zu zukünftigen smarten Implantaten unter der Haut. Es gibt kein offline, kein außerhalb des Netzes, sondern ein stetes Vernetztsein durch die Allgegenwärtigkeit der Informationsverarbeitung.
Neben den oben angedeuteten Auswirkungen auf den Straßenverkehr beziehen sich Anwendungen von Big Data auch konkret auf Fragen der umweltökologischen Nachhaltigkeit und des Klimawandels, wie das Big Data Climate Challenge der United Nations Global Pulse zeigt, das besondere Anwendungen beispielsweise zum Waldsterben oder zum Ausstoß von CO2 auszeichnet. Weitere Beispiele gibt es in den Bereichen (mediales) Konsumverhalten, Medizin, Logistik, Strafverfolgung („Pre-Policing“) oder Bildung („Learning Analytics“). Normative Begriffsbedeutungen wie „Souveränität“, „Unschuldsvermutung“ und „Entscheidungsfreiheit“ drohen durch Korrelationen und Prognosen auf Basis von Big Data Analysen in gesellschaftlichen Entscheidungskontexten zersetzt zu werden. Welche Konsequenzen haben diese technologisch induzierten Trends auf die Nachhaltigkeit einer Gesellschaft? Welche Bildungsfragen für eine nachhaltige Entwicklung sind hier angesprochen? Was bedeutet dies für den so zentralen Begriff der Medienkompetenz?
Nachhaltigkeit
Die Verbindung zwischen den technischen Strukturen der Informationsgesellschaft und dem Prinzip der Nachhaltigkeit wurden beispielsweise in Deutschland bereits 1998 in der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt – Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung“ thematisiert:
„Um die Chancen der Informations- und Kommunikationstechnik für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, neue Arbeit sowie mehr Lebensqualität und demokratischer Teilhabe zu nutzen, bedarf es erweiterter und neuer Qualifikationen. Die Förderung von Medienkompetenz ist deshalb eine Grundbedingung, um den informationstechnischen Fortschritt nachhaltig zu gestalten.“ (20)
In ihrem Abschlussbericht weist die Enquete-Kommission auf die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele hin, die integrativ behandelt werden sollen, um die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft zu sichern. Dazu zählen im Hinblick auf die Informations- und Kommunikationstechnik insbesondere die ökologischen Herausforderungen der Vermeidung von Abfall und Problemstoffen und des Energieverbrauchs. Diese Effekte sind – wie alle umweltökologischen Herausforderungen – erst dann gesellschaftlich wirksam, wenn sie öffentlich und massenmedial kommuniziert werden. Ebenso geht es um Effekte der Verkehrs- und Raumplanung, des Umweltmonitorings sowie um medienwirtschaftliche Effekte. Hinsichtlich der sozialen Dimension heißt es über Medienkompetenz:
„Ein Mangel an Medienkompetenz schürt die Gefahr einer Legitimationskrise, aber auch das Risiko eines zunehmenden Gefühls von Kontrollverlust, das i. d. R. zu Verunsicherung bzw. dem Bedarf nach mehr Sicherheit führt. Wachsende Tendenzen zu sozialer Ausgrenzung, aber auch zur Flucht in die Isolierung können die Folge sein. Die Vermittlung von Medienkompetenz ist damit kulturelle und gesellschaftliche Aufgabe, aber zugleich auch Element der Wirtschaftsförderung: Wer möglichst große Absatzmärkte und Anwendungsfelder erschließen will, ist auf kompetente Mediennutzer angewiesen: „Medientechnische Analphabeten“ sind schlechte Kunden. Für den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechniken muß der Bildungs- und Fortbildungssektor die Voraussetzungen schaffen.“ (21)
Dieses Zitat von 1998 muss vor dem Hintergrund der dynamischen technischen Entwicklung, der medienwirtschaftlichen Wachstumserwartungen und der kulturellen Resonanzeffekte diskutiert werden. Das Moment der Legitimationskrise in Zeiten von Big Data zeigt sich an Algorithmen und daran anknüpfenden Entscheidungsprozessen: Auf Basis welcher Annahmen oder Korrelationen wird eine Entscheidung gefällt? Wie können algorithmische gestützte Entscheidungsprozesse in die Alltagssprache übersetzt werden, damit sie ein selbstbestimmtes Handeln unterstützen?
Durch die öffentlich bekannt gewordene Totalüberwachung der Geheimdienste sind grundlegende Verfassungswerte, wie etwa die informationelle Selbstbestimmung und das Fernmeldegeheimnis, ausgehöhlt und erodiert. Der oben angesprochene „Kontrollverlust“ zeigt sich aber schon beim Surfen im Netz durch die nahezu unkontrollierbare Weiterleitung und Vermarktung von Datenspuren der Internetkonzerne. Jaron Lanier betont in diesem Zusammenhang: „Eine Überwachungsökonomie ist weder nachhaltig noch demokratisch.“ (22)
Das oben genannte Argument der „medientechnischen Analphabeten sind schlechte Kunden“ sollte vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitdiskussion hinterfragt werden. Jede neu erscheinende Medientechnik zu konsumieren, dient sicherlich dem Wachstum der Absatzmärkte. Medienkompetentes und nachhaltiges Handeln in der Informationsgesellschaft heißt auch, nicht jedem Konsumimperativ Folge zu leisten. Joachim Weiner fasst diesen Imperativ, den seiner Ansicht nach Medien- und Internetkonzerne implizit ausgeben, wie folgt:
„Konsumiere möglichst viel von dem, was Dir von den Medien und der Medienindustrie angeboten wird, entwickle aber dabei keine Denk- und Handlungsmuster, die Deine Verwendbarkeit auf dem Arbeitsmarkt beeinträchtigen oder zu einem gesellschaftlich inakzeptablen Sozialverhalten führen.“ (23)
Ein Mensch, der diesem Imperativ folgt, hat nach Weiner „gute Chancen zu einem technisch hoch aufgerüsteten, mit überflüssigem Wissen angefüllten und unablässig medial kommunizierenden Medienidioten zu werden […]“ (24) Als mögliche pädagogische Antworten werden medienasketische Übungen und medienkritische Selbstbeobachtungen schon in der Schule eingesetzt. Im Berufsleben geht es dann um digitalen Arbeitsschutz und um eine Work-Life-Balance in Zeiten ständiger Online-Erreichbarkeit. Lars Gräßer und Friedrich Hagedorn thematisieren diese psychosozialen Folgelasten der Mediennutzung als „Emissionen anderer Art“ (25). Die medienökologische Sorge um sich schätzt die medienfreie Selbstreflexion und das Glück der (zeitweisen) Unerreichbarkeit. Diese medienökologischen Nischen und technologiefreien Reservate werden immer mehr zu utopischen Konstrukten inmitten einer vernetzten und informatisierten Umwelt.
Wissens- und datenökologische Konsequenzen
Im Rahmen des Weltgipfels für die Informationsgesellschaft (WSIS 2005/2008) forderten Akteure in einer „Charta der Bürgerrechte für eine nachhaltige Wissensgesellschaft“ einen an „Nachhaltigkeitsprinzipien orientierten freizügigen und inklusiven Umgang mit Wissen und Information.“ Betont wird diese Perspektive durch eine Erweiterung des Drei-Säulen-Modells der Nachhaltigkeit: Neben den sozialen, ökonomischen und ökologischen Dimensionen, sollte sich eine vierte Säule auf informationelle und kulturelle Dimensionen und den Umgang mit Wissen beziehen. Rainer Kuhlen benennt in diesem Zusammenhang erste „materiale Bausteine einer Wissensökologie unter nachhaltigen Prinzipien“ (26): Dazu zählt er u. a. den freien Zugriff auf Wissen und Information, den Erhalt von Commons und Public Domain Information, das Verbot von Diskriminierung und das Gebot der Inklusion im Zugriff, die Sicherung kultureller und medialer Vielfalt, die Bewahrung von Kreativität, neue Modelle von Öffentlichkeit, die Entwicklung von Informationskompetenz, die Langzeitarchivierung und die Sicherung von Freiräumen privater Entwicklung.
Während das ökologische Denken die Systemerhaltung und Ressourcenschonung thematisiert, scheint gerade diese Begrenzung mit Blick auf den Informationsüberfluss in der Big Data Gesellschaft obsolet. Laut der „EMC Digital Universe“ Studie (27) erzeugten allein im Jahr 2011 Menschen und Maschinen so viele Daten wie in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor. Das weltweite Datenvolumen wird bis 2020 um das Zehnfache anwachsen, von derzeit 4,4 Billionen Gigabyte auf 44 Billionen Gigabyte. In Deutschland wird die Menge digitaler Daten im gleichen Zeitraum von 230 auf 1.100 Milliarden Gigabyte steigen. Im Hinblick auf den steigenden Bedarf an Ressourcen ist in diesem Zusammenhang auf die Selbstreferenz technischer Entwicklungen hinzuweisen, technische Probleme durch neue Technik zu lösen: „Ohne elektronische Datenverarbeitung wären Informations- und Datenflut nicht zu bewältigen“ heißt es in einer IT-Messepublikation zu „Datability“ (28).
Dieser „Daten-Tsunami“ umfasst völlig unterschiedliche Formen von digital gespeicherten Informationen. Grob zu unterscheiden sind die drei Ebenen:
- Auf der technischen Ebene sind die Informationen, Protokoll- und Verbindungsdaten, die sich zwangsläufig aus jedem technisch gestützten Kommunikationsprozess ergeben. Wenngleich sie technisch automatisch anfallen, kann ihre methodisch gezielte Auswertung zu inhaltlich höchst detailreichen Bedeutungszuschreibungen zusammengefügt werden. Aus Metadaten lassen sich individuelle Personenprofile erstellen.
- Die Kommunikationsinhalte (Schrift-, Audio- und Video-Dokumente, Streams usw.) lassen sich meist menschlichen Urhebern zuordnen und umfasst die Formen, die unter Ideen wie Commons und Public Domain versus urheberrechtlich geschütztes Material fallen. Die freie Zugänglichkeit (Open Access), beispielsweise von öffentlich geförderten, wissenschaftlichen Publikationen, trägt zu einer nachhaltigen Wissensordnung bei. Ihr entgegen laufen die Verknappungs- und Kommerzialisierungsstrategien der Content-Industrie. Rainer Kuhlen betont in diesem Zusammenhang: „Freizügigkeit und gerade nicht Verknappung ist dann das entscheidende Merkmal für Nachhaltigkeit“ (29).
- Programmcode sind maschinenausführbare Algorithmen, welche die Daten (Ebene 1 und 2) verarbeiten. Auch hier greift die Unterscheidung von kommerziell-proprietären Systemen und quell-offenen, weiterverwendbaren Formen (Open Source Software). Hervorzuheben ist der interessengeleitete Hintergrund – auch im Vergleich zur Alltagstechnik des Autofahrens: „Nun könnte man einwenden, die meisten Menschen würden auch Auto fahren, ohne genau zu wissen, wie ein Verbrennungsmotor funktioniert. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Code ist nicht wertneutral. Code ist programmiert worden von jemanden mit einer politischen Agenda, einem wirtschaftlichen Ziel oder einem bestimmten Menschenbild.“ (30)
Das Zusammenspiel dieser drei Ebenen in Hard- und Software greift als ein Steuerungsfaktor in menschliches Verhalten ein: „Code is law“ (Lawrence Lessig). In diesem vernetzten soziotechnischen System zeigt sich eine hohe Datenkonzentration auf einige wenige US-amerikanische Unternehmen. Menschen sind in diesem kommerzialisierten Umfeld Datenlieferanten für die Marktentwicklungsstrategien von Unternehmen. Diese gestalten ihre Produkte Hard- und Software bzw. Online-Produkte so, dass der Anwender innerhalb eines „digitalen Ökosystems“ bleiben muss bzw. aus Bequemlichkeit darin bleibt. So ermöglicht diese unternehmensstrategische Einzäunung umfassende Datenerhebungen zu den Nutzern und ihren Konsumaktivitäten.
Zukünftige Handlungsfelder
Die einleitende metaphorische Redeweise von der Welt des Automobils führte zu ihrer Auflösung: Zunächst wurde das Autofahren als Metapher für den Medienumgang beschrieben, inzwischen wird Autofahren zur Medien- und IT-Nutzung. Am Beispiel des Straßenverkehrs als eines telematischen komplexen und adaptiven Systems und seinen Echtzeit-Analysen sollten Eigenschaften herausgestellt werden, die zukünftig fast alle gesellschaftlichen Bereiche betreffen werden. In der Big Data Gesellschaft treten neue Anforderungen an eine Bildung für nachhaltige Entwicklung hervor, die an dieser Stelle nur benannt werden können, aber einer detaillierten Aufarbeitung erfordern. Ausgangspunkt ist die Förderung des Verständnisses für den gegenwärtigen gesellschaftlichen soziotechnologischen Umbruch. Auf individueller Ebene scheinen die folgenden Bildungsinhalte relevant:
- Systemisches Denken: Systeme – und insbesondere soziotechnische Systeme – sind mehr als die Summe ihrer Teile, Vernetzungseffekte (Schwarm- und Crowd-Phänomene, Schmetterlingseffekte) und Wechselwirkungen folgen nicht einer linearen Logik, Beobachter konstruieren eigene Wirklichkeiten – Grundannahmen wie diese müssten auf die Lebenswirklichkeit in einer verdateten und informatisierten Welt übertragen und didaktisch aufbereitet vermittelt werden.
- Informationskompetenz: Die Schlüsselkompetenz des Suchens, Findens und Bewertens von Informationen und die Medienkompetenz im Umgang mit den Trägermedien müssen erweitert werden um Aspekte einer „Code Literacy“ im weiteren Sinne. Gemeint ist damit nicht das Programmierenlernen. Es gilt zu verstehen, wie Algorithmen kommunikative Prozesse abbilden, welche kommerziellen oder politischen Entscheidungen darin eingeschrieben sind, was Korrelationen von Kausalzuschreibungen unterscheiden und inwieweit Codes unser informationelles Handeln prägen.
- Humanistische Bildung: Mit der Abbildung von quasi-intelligenten Prozessen auf Maschinen und ihre Einbindung in menschliche Entscheidungsprozesse wird ein reflexiver Rückbezug auf den Menschen in Gang gesetzt. Was ist der Mensch und wie will er zukünftig leben? Was geschieht mit Begriffen wie Privatheit, Öffentlichkeit, Souveränität, Selbstbestimmung und Kreativität, wenn Datenerfassungen und -analysen sowie darauf aufsetzende Prognosen alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen? Worin liegt die Gefahr des „technologisch determinierten Menschen“ (31)? Welche politischen Mechanismen greifen in einer digitalen Netzwerkgesellschaft? In diesen Kontext gewinnt die philosophische, ethische und politische Grundbildung an Bedeutung.
Bereits beim Begriff der Medienkompetenz wurde oben argumentiert, diesen nicht auf der Subjektebene zu belassen, sondern auch auf soziale Systemebenen anzuwenden. Auch im Kontext der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung und der Erweiterung der Kompetenzkonzepte greift die Individual- und Werkzeugebene der Technik zu kurz. Auf gesellschaftlicher Ebene müssen politische Rahmenbedingungen für offene und transparente Kulturprozesse gesetzt werden, die nachhaltige Entwicklung flankieren. Drei Beispielfelder seien an dieser Stelle genannt:
- Offener Zugang und Weiterbearbeitung: Die neuen digitalen Spaltungen liegen in unseren Bereichen kaum noch im Bereich des technischen Zugangs zum Netz, sondern in der Art und Weise, wie das Netz verwendet wird („Second Level Digital Divide“). Weiterhin gilt es, Barrieren abzubauen, den offenen Zugang auf Inhalte zu sichern und einer Verknappung der Inhalte durch vollumfängliche Kommerzialisierung entgegenzuwirken, indem beispielsweise Lizenzmodelle wie Creative Commons nachhaltige Kulturschaffensprozesse unterstützen.
- Speicherung und Weitergabe: Die kulturelle Weitergabe und Bewahrung von digital gespeichertem Wissen erfordert nachhaltige Strategien der Umkopierung und Konvertierung auf jeweils neue Speichermedien. Ansonsten droht ein kulturelles digitales Vergessen, da alte Speichertechnologien nicht mehr nutzbar sind.
- Produzentenverantwortung und Regulierung: Die Verschiebung der Verantwortung auf den Mediennutzenden stellt allein keine nachhaltige Lösung dar. Es geht um den Einbau von Transparenzkriterien in die Gestaltung von Schnittstellen auf Seiten der Anbieter, beispielsweise um „Privacy by Design“ im Hinblick auf den Datenschutz, um die automatische Löschung von Daten („Right to be forgotten“) oder um die Offenlegung und verständliche Darstellung von Algorithmen, die soziale Handlungsfolgen haben. Als Anforderung an das Systemdesign sollten sie Eingang in rechtliche Regulierungs- und Zertifizierungsprozesse für Anbieter von IT-Dienstleistungen finden bzw. werden zzt. diskutiert.
Übergreifend zu diesen Handlungsfeldern gilt es einen breiten gesellschaftlichen Diskurs weiter zu führen, der die Zielvorstellungen der Nachhaltigkeit vor dem Hintergrund des technologischen und gesellschaftlichen Wandels immer neu bewertet und in Aktionen übersetzt. Letztlich geht es um die Frage, wie wir zukünftig leben wollen.
Fußnoten und Literaturhinweise
(1) Reichertz, Jo (2007): Die Macht der Worte und der Medien. Wiesbaden. S. 155f. (im Orig. kursiv).
(2) Kleinsteuber, Hans J. (1996): „Der ‚Information Superhighway‘: Analyse einer Metapher“. In: Ders. (Hg.): Der ‚Information Superhighway‘. Amerikanische Visionen und Erfahrungen. Opladen. S. 17-47, hier S. 31. Vgl. auch Canzler, Weert / Helmers, Sabine / Hoffmann, Ute (1995): „Die Datenautobahn. Sinn und Unsinn einer populären Metapher“. In: WZB Discussion Paper FS II. S. 95-101.
(3) Reichwein, Marc: „Nachrufe auf die Datenautobahn“ (Blog-Eintrag vom 20.05.10). Online http://www.umblaetterer.de/2010/05/20/nachruf-auf-die-datenautobahn/ <08.09.14>
(4) Vgl. https://netzpolitik.org/wp-upload/dg_banner300_07_cc-by-goodgerster.jpg <08.09.14>
(5) Vgl. Polizei Rheinland-Pfalz: Ins Internet mit Sicherheit. (o.D.) Online: http://www.polizei.rlp.de/internet/sub/153/15321b7f-d657-d217-a52f-61f42680e4cd,,,7006045d-9c34-7001-be59-2680a525fe06.htm#2 <08.09.14>
(6) Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) (2007): Die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2007. S. 63. Online: https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/Publikationen/Lageberichte/lagebericht2007_pdf.pdf?__blob=publicationFile <08.09.14>
(7) Reisch, Linda (1998): Wissen ist Macht. Chancen und Risiken in der Informationsgesellschaft. In: nfd 49. S. 275-278, hier S. 276.
(8) Vgl. dazu www.ecdl.de und www.medienfuehrerschein.bayern.de <08.09.14>
(9) Erpenbeck, John / Heyse, Volker (2007): Die Kompetenzbiographie: Wege der Kompetenzentwicklung. Münster. S. 163.
(10) Heyse, Volker / Erpenbeck, John / Michel, Lutz (2002) Lernkulturen der Zukunft. Kompetenzbedarf und Kompetenzentwicklung in Zukunftsbranchen. QUEM-report. Schriften zur beruflichen Weiterbildung, H. 74. Berlin.
(11) Vgl. dazu ausführlicher Gapski, Harald (2001): Medienkompetenz. Wiesbaden.
(12) Saxer, Ulrich (1992): Medien als Gesellschaftsgestalter. In: Medienkompetenz als Herausforderung an Schule und Bildung. Ein deutsch-amerikanischer Dialog. Kompendium zu einer Konferenz der Bertelsmann Stiftung vom 18. bis 20. März 1992. Gütersloh. S. 21-31, hier S. 21.
(13) Baacke, Dieter (1998): Medienkompetenz – Herkunft, Reichweite und strategische Bedeutung eines Begriffs. In: Lernort Multimedia. Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 1998. Bd. 6. Hrsg. v. H. Kubicek u.a. Heidelberg 1998. S. 22-27, hier: S. 25
(14) Vgl. ausführlicher dazu Hillgärtner, Harald (2008): Das Medium als Werkzeug : Plädoyer für die Rehabilitierung eines abgewerteten Begriffes in der Medientheorie des Computers. Frankfurt / Main, URN: urn:nbn:de:hebis:30-55350 http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/5629 <08.09.14>
(15) Bolz, Norbert: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse, München 1993, S. 115.
(16) Vgl. http://www.cebit.de/de/news-trends/trends/big-data-datability/ <08.09.14>
(17) http://www.tomtom.com/landing_pages/trafficmanifesto/content/pdf/Support%20Document_lid3.pdf <08.09.14>
(18) Vgl. dazu http://www.heise.de/ct/artikel/Autonomes-Fahren-Nicht-vor-2020-2059208.html und http://newsfeed.time.com/2012/09/26/speeding-into-the-future-self-driving-cars-are-now-legal-in-california/
(19) http://m.zdf.de/;s=6rAkjzah4VSEr2hUyjLJO25/ZDF/zdfportal/xml/object/33056068 <08.09.14>
(20) Enquete-Kommission (1998): „Schutz des Menschen und der Umwelt – Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung“. Abschlussbericht. Drucksache Deutscher Bundestag 13/11200 vom 26.06.98, hier S. 102. Online: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/112/1311200.pdf <08.09.14>
(21) Enquete-Kommission (1998), a.a.O., S. 103, Hervorheb. von mir, HG.
(22) Lanier, Jaron (2014): Wem gehört die Zukunft? 4. Aufl. Hamburg, S. 24.
(23) Weiner, Joachim (2011): „Medienkompetenz“ – Chimäre oder Universalkompetenz? – Essay. In: APuZ 3/2011. Online unter: www.bpb.de/apuz/33557/medienkompetenz-chimaere-oder-universalkompetenz-essay?p=all <08.09.14>
(24) Weiner, a.a.O.
(25) Gräßer, Lars / Hagedorn, Friedrich (2012): Medien nachhaltig nutzen. Beiträge zur Medienökologie und Medienbildung. München / Düsseldorf. Vgl. auch den Beitrag der beiden Autoren in diesem Band.
(26) Vgl. http://www.kuhlen.name/MATERIALIEN/Publikationen2004/a08-kuhlen-AA.pdf <08.09.14>
(27) Vgl. http://germany.emc.com/leadership/programs/digital-universe.htm <08.09.14>
(28) Vgl. http://files.messe.de/007-14/media/downloads/besucher/ref-datability-hb-2013.pdf <08.09.14>
(29) Rainer Kuhlen (2013): Wissensökologie. In: Rainer Kuhlen, Wolfgang Semar, Dietmar Strauch (Hrsg.): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation. 6. Ausgabe. Berlin. S. 68-85.
(30) Patrick Beuth (2013): Raus aus der digitalen Unmündigkeit. http://www.zeit.de/digital/internet/2013-05/republica-code-literacy-algorithmen-ethik <08.09.14>
(31) Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, sagt dazu: „Internetkonzerne und Geheimdienste wollen den determinierten Menschen. Wenn wir weiter frei sein wollen, müssen wir uns wehren und unsere Politik ändern.“, vgl. http://www.faz.net/-hyt-7m2d1 <08.09.14>
Harald Gapski (Grimme-Institut)
Gapski, Harald, Grimme-Institut, Studium der Kommunikationswissenschaft und Philosophie an der Universität Essen (M. A. 1993), Media Studies an der New School for Social Research, New York (M. A. 1995). 2001 Promotion zum Thema „Medienkompetenz“ (Universität Essen). Wiss. Mitarbeiter am Europäischen Medieninstitut, Düsseldorf (1996); Projektleiter am Europäischen Zentrum für Medienkompetenz (1997-2010). Seit 2010 Referent am Grimme-Institut in Marl.