Nachhaltigkeit und dokumentarische Formen – Ein Gespräch zwischen Friedrich Hagedorn und Thomas Klein

In deinem Beitrag “Strategien und Ästhetiken der Darstellung nachhaltiger Entwicklung im neueren Dokumentarfilm” hebst Du den Umfang und die große Formenvielfalt von Nachhaltigkeitsdarstellungen im Dokumentarfilm hervor. Gibt es in diesem Zusammenhang eine Erzählweise, ein “Narrativ”, die bzw. das sich als richtungsweisend herausgebildet hat oder das du besonders bemerkenswert findest?

Als richtungsweisend könnte man den investigativen Dokumentarfilm bezeichnen, der Strukturen etwa der Globalisierung aufzeigt, die nachhaltiges Handeln verhindern. Das sind oft kapitalismuskritische Filme. Besonders bemerkenswert finde ich die Filme, die Bilder dafür finden, dass auf der Welt Lebensbedingungen herrschen, die unserer Vorstellung von Fortschritt diametral entgegengesetzt sind. Das sind fast ethnologische Blicke in Gesellschaften, die wir eigentlich zu kennen, zu verstehen glauben. Aber vieles ist dann doch sehr fremd.

Wie siehst du die derzeitige – und vielleicht auch zukünftige – Bedeutung von Dokumentarfilmen für die öffentliche Kommunikation von Nachhaltigkeit?

Der Dokumentarfilm hat seit vielen Jahren eine herausragende Bedeutung in diesem Zusammenhang und dies wird auch in den nächsten Jahren so bleiben, vermute ich. Was der Dokumentarfilm aber nur bedingt leisten kann, ist Visionen einer Zukunft zu schaffen. Also Perspektiven einer Welt von morgen zu bieten, Handlungsoptionen zu präsentieren. Das kann der Dokumentarfilm natürlich dort, wo diese Handlungsoptionen in unserer Gegenwart bereits genutzt werden. Aber konkrete Utopien können mit dem Dokumentarfilm nicht entwickelt werden. Möglich wäre es allerdings das Dokumentarische als ästhetischen Modus in einer fiktionalen Narration zu verwenden.

Gerade im Fernsehen sind vor einigen Jahren serielle Erzählformen entstanden, die zum Teil großen Publikumszuspruch fanden. Ich denke etwa an sog. Dokutainmentformate, in die fiktionale Elemente eingebaut, Szenen nachgestellt und in denen mit “Menschen wie du und ich” (real people) Alltagsthemen aufgegriffen wurden. Gibt es so etwas auch bei Nachhaltigkeitsthemen oder siehst du da Grenzen?

In einer auf ARTE gesendeten Reihe über Nano-Technologie geht es auch um Nachhaltigkeit. “Pour une planète plus verte” (2011) ist der Titel. Darin wird mit fiktionalen Vorausblenden in eine potentielle Zukunft gearbeitet, die von Nano-Technologie geprägt ist. Man kann hier von “Pre-Enactment”-Szenen sprechen.

Ich sehe nur insofern Grenzen, als dass die Produktionskosten mit solchen fiktionalen Szenen natürlich steigen. Ästhetisch und dramaturgisch bieten sich enorme Möglichkeiten. Denn im Unterschied zu einem komplett fiktionalen Science-Fiction-Film, der Nachhaltigkeitsthemen aufgreifen würde, benötigen kurze fiktionale Szenen nicht notwendigerweise einen Plot mit einer Hauptfigur, die ein Problem zu lösen hat. Da ist man schnell in konventionellen Erzählweisen. In solchen kurzen Szenen können innovative Visionen einer Zukunft kreiert werden, ohne eine Geschichte mit Anfang, Mitte und Schluss.

Pour une planète plus verte? ̶ Nano-Nachhaltigkeit

Pour une planète plus verte? ̶ Nano-Nachhaltigkeit

Wenn wir von der zentralen Herausforderung einer großen Transformation unserer Gesellschaft sprechen, so bedeutet dies zweifellos auch und nicht zuletzt eine große kommunikative Herausforderung, eine veränderte Kommunikationskultur. Welchen Beitrag leistet in diesem Zusammenhang die filmische Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit?

Bislang einen viel zu kleinen. Dabei bieten sich enorme Möglichkeiten. Das Medium Film hat eine enorme Wirkungsmacht, argumentativ und emotional. Das sind natürlich nicht Elemente einer veränderten Kommunikationskultur. Doch die große Transformation bedeutet für mich auch, dass alle medialen Formen, die uns zur Verfügung stehen, in ihrer Medienspezifik einzusetzen sind. Das Internet kann vor allem Kommunikation zwischen Partizipanten ermöglichen. Der Film kann Utopien präsentieren und unsere Emotionen aktivieren. Davon ausgehend kann man dann Hybridformate oder transmediale Dramaturgien entwickeln.

Im Fazit deines Beitrags betonst du die besonderen Möglichkeiten der Online- bzw. der Social-Media-Kommunikation von Nachhaltigkeitsanliegen. Ist das mehr als die gegenseitige Bestätigung und Unterstützung der bereits Überzeugten? Oder bildet sich da deines Erachtens eine neue, “transformationsrelevante” Kommunikationskultur heraus?

Da könnte sich eine solche Kommunikationskultur herausbilden, wenn sie bestimmte Attraktionswerte bietet. Die in meinem Artikel genannte Web-Doku “Fort McMoney”, die mit interaktiven Elementen des Strategiespiels operiert, ist so ein Beispiel. Damit kann man auch solche erreichen, die noch nicht überzeugt sind. So ein Hybrid-Format ist auch für diejenigen interessant, die gerne Strategiespiele spielen. Spezielle Zielgruppen anzusprechen und nicht mit dem Anspruch des Massenmediums ranzugehen, möglichst viele Menschen zu erreichen, ist hier die zielführendere Methode.

Im Dezember wird ja der UN-Klimagipfel in Paris stattfinden, der von vielen als letzte Chance betrachtet wird, zu wirksamen international verbindliche Vereinbarungen zu kommen. Wie kann, wie sollte dieses Thema – über das Ereignis hinaus – medial kommuniziert werden?

Multiperspektivisch vor allem. Ich stelle mir etwa eine Doku-Webserie mit interaktiven Elementen vor, die einige Wochen vor dem Gipfel anfängt und sich mit mehreren ganz unterschiedlichen Akteuren des Spektrums “UN-Klimagipfel” auseinandersetzt.

Wenn du selbst einen Dokumentarfilm drehen könntest (ohne irgendwelche Einschränkungen): Welches Thema und welche Darstellungsform würdest du dafür auswählen? Und was wäre deine zentrale Botschaft?

Ich würde eine Hybridform wählen, nämlich eine Mockumentary, also eine Pseudo-Doku, in der auf globaler Ebene die Entscheidung getroffen wird, eine große Transformation durchzuführen. Die Botschaft wäre die, dass eine große Transformation möglich ist.

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